“Liebe Verschwörungs-Experten...”
Kaum gibt es irgendwo größere Proteste, wird das Netz von Verschwörungs-Experten geflutet, die ganz genau wissen, was läuft. Ein Kommentar
Den Artikel gibt's hier. Und dem sei entgegnet:
Lieber Verschwörungs-Laie…
… in der Hoffnung, dass Du diesen Text entgegen Deiner Gewohnheit vielleicht doch zur Kenntnis nehmen wirst, befleissige ich mich einer möglichst höflichen Sprache und einem sachlich gehaltenen Ton. Aber Dein Text schreit geradezu nach einer Antwort. Denn man muss sich keinesfalls “in wilden Mutmaßungen ergehen”, um Dinge sinnvoll einzuordnen.
Im Gegenteil. Wer Dinge nicht sinnvoll einzuordnen imstande ist, der sollte sich besser nicht in Themen hervortun, zu denen er nichts Substantielles beitragen kann. Aber eins nach dem anderen.
Als alter Verschwörungspraktiker (Verschwörungstheorien sind mir zu mühsam und letztlich auch zu langweilig) freut es mich, wenn Du immerhin zur Kenntnis genommen hast, dass die USA ein besonderes Land sind. Nein, sie sind es eben gerade nicht im Sinne des American Exceptionalism. Das US-Imperium ist nicht gut. Es ist übrigens auch nicht böse – wie andere meinen. Es ist einfach. Die USA sind in der Position, wirtschaftlich sehr stark zu sein, politisch sehr einflussreich, und gleichzeitig militärisch so weit über allen anderen Mächten stehend, dass sie hier als unschlagbar gelten müssen. Die anderen Mächte zusammen geben nicht so viel Geld für Militär aus wie die USA alleine.
In den USA weiss man das. Man weiss es natürlich auch in den anderen Grossmächten wie Russland und China. Man weiss es auch in Mittelmächten wie dem Iran. Jeder weiss das, der sich ernsthaft mit Geopolitik beschäftigt.
Einer der sympathischen Züge der US-Kultur (und ja, dieselbe gibt es wirklich) ist ihre Direktheit. Dass die Amerikaner imperiale Aussenpolitik machen, daraus machen sie keinen Hehl. Es ist eines der bemerkenswertesten Phänomene der Qualitätsmedien hier in Europa, dass sie es schaffen, all die völlig klaren, direkten – im US-amerikanschen “straight” genannten – Äusserungen von Geopolitikern der USA in dieser Hinsicht vollständig zu überhören und auszublenden.
Damit meine ich jetzt nicht nur Äusserungen wie die im Telefongespräch zwischen Victoria Nuland und Geoffrey Pyatt, dessen Mitschnitt der Weltöffentlichkeit freundlicherweise vom russischen Geheimdienst zur Verfügung gestellt wurde. Die Qualitätsmedien haben es ja sogar hier geschafft, alles Interessante in diesem Gespräch zu unterschlagen, und mit einem Skandälchen des “Fuck the EU” von dessen brisantem Inhalt abzulenken, den sie sonst mit keinem Sterbenswörtchen erwähnt haben – und der um Kategorien interessanter ist:
Das Gespräch zwischen Helga Schmid und Jan Tombiński – auch eine freundliche Spende der russischen Schlapphüte –, was man unbedingt dazu anhören muss, wurde gar überhaupt nirgends erwähnt:
Sondern ich meine damit auch und gerade die vielen öffentlichen Äusserungen von führenden US-Geostrategen von Zbigniew Brzeziński bis George Friedman, die Bücher über die imperiale Strategie der USA publiziert haben und öffentliche Vorträge dazu gehalten.
Das alles nicht zu sehen, zeugt entweder von völliger Inkompetenz im Fach oder aber von bewusstem Weglassen und Ablenken, wie es bekanntlich von den Professoren und Medienkritikern Noam Chomsky und Edward S. Herman ausführlich dargelegt wurde, nämlich dass das gerade die Aufgabe der Qualitätsmedien ist, von dem, was wichtig ist, abzulenken – siehe das Propagandamodell.
Es bestätigt Chomsky und Herman empirisch (und nicht nur das).
Die USA befleissigen sich nicht hin und wieder Methoden des Regime-Changes durch provozierte Aufstände und einen herzhaften Putsch. Sondern die USA ziehen seit dem zweiten Weltkrieg eine Blutspur durch die Welt, der folgend jeder, der sehen will, auch erkennen kann, dass die Aussenpolitik dieses Landes in ihrem Wesen darin besteht, alle Regierungen zu entfernen, die sich dem Imperium nicht unterwerfen, die jedoch auf geostrategisch relevanter Position oder genügend Bodenschätzen sitzen (oder beides).
Das ist systematisch so, nicht die Ausnahme, es ist die Regel.
Wenn man also über ein Land wie Iran schreibt, eine Mittelmacht, die sich bis heute dem US-Imperium widersetzt, die aber auf so viel Erdöl wie sonst nur wenige Länder sitzt (von der geostrategisch wichtigen Position gar nicht zu sprechen), so ist es entweder völlig inkompetent, nicht immer auch einen US-Regimechange mit zu berücksichtigen, wenn es zu gewaltsamen Aufständen kommt, oder diese Unterlassung lässt nur noch den Schluss zu, dass hier absichtlich verschleiert werden soll.
Denn die USA haben bereits 2009 eine ihrer beliebten, üblicherweise über “NGOs” des US-Oligarchen George Soros finanzierte Farbenrevolutionen im Iran versucht. Ihre Farbe war grün, falls Dir das entgangen sein sollte. Da es bei US-Farbenrevolutionen Tradition ist, halbwegs lokale Gruppierungen mit zweifelhaften Ruf in vorderster (Gewalt-) Front mit einzusetzen – bei der Ukraine die bekannten Neonazi-Gruppen –, so musste auch bei der “Grünen Revolution” im Iran eine solche Gruppe herhalten. Es handelt sich dabei um die Gewaltsekte “MEK”, die verbrämend auch “Volksmodschahedin” genannt wird, und die von den USA zunächst im Irak im US-Militärstützpunkt “Camp Liberty” untergebracht wurde, bevor sie nach Albanien in ihr derzeitiges Exil verfrachtet wurde.
Wenn nun letztes Jahr (2017) sich gleich mehrere US-Senatoren bei der Sektenführerin der MEK in Albanien die Klinke in die Hand geben, so ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass wieder etwas im Busch ist. Diese Tatsache nicht zu erwähnen, wenn man über die “gewaltsamen Proteste” im Iran spricht, erfüllt wiederum hinreichend die Bedingungen, die nur noch den Schluss auf entweder völlige Inkompetenz oder absichtliche Falschdarstellung durch Unterschlagung der relevanten Tatsachen in der Berichterstattung zulassen.
Wenn man also hier nicht über die MEK berichtet, dann plappert man entweder Unsinn, oder man lügt. Da beisst die Maus keinen Faden ab.
Nun weiss ich natürlich, dass viele Journalisten nicht lügen. Sondern sie haben keine Zeit mehr zu recherchieren, weil sie in prekären Verhältnissen gehalten werden, die den ständigen eigenen Überlebenskampf dem eigenen journalistischen Ethos entgegen stellen.
Aber ich weiss auch – und wenn Du ehrlich zu Dir selbst bist, dann weisst Du das ebenfalls – dass die wenigen wohlhabenden und privilegierten Alphajournalisten all das genau wissen, und in voller manipulativer Absicht weglassen.
Jeder im Journalismus weiss, was man in welchem Blatt schreiben kann und was nicht. Und jeder weiss, dass die Konzentration der Blätter in immer weniger Hände bedeutet, dass man immer weniger schreiben kann, was man eigentlich schreiben müsste. Negative Ausnahmen wie die vom neuen Chefredakteur Gujer regelrecht zugrunde gerichtete NZZ runden dieses sowieso nicht gerade üppige Bild nach unten ab.
Die Arbeit der Qualitätsmedien hat fast keine Achillesfersen mehr, sondern sie selbst sind zur Achillesferse der Bildung geworden. Sie liefern zum Grossteil nicht mehr, wo sie liefern müssten. Und ihre Achillesferse wiederum, das sind die Alternativmedien im Netz, denen nun die letzten verbliebenen investigativen Journalisten zulaufen, weil sie fast nirgends sonst mehr hinkönnen.
Wer http://www.moonofalabama.org/ liest, erfährt sicher substantiell um Kategorien mehr über die Politik der USA als wenn man die ebenfalls zugrunde gerichtete Washington Post rezipiert – ein Blatt, das einmal zurecht zusammen mit der New York Times als einer der Leuchttürme des US-Journalismus' galt. Die heutigen Käufer beider Blätter können wohl nur noch auf weicheres Papier und hautfreundliche Farbe hoffen, damit es auch zukünftig noch lohnt, hier zuzuschlagen…
Ganz ähnlich ist es auch in Deutschland. Wer über Hintergründe informiert werden will und nicht nur PR- und Propaganda-Aussagen papageienhaft wiederholt bekommen möchte, dem bleiben neben vereinzelten Perlen, die es immer noch in den Qualitätsmedien gibt, nur noch die http://www.nachdenkseiten.de/, https://kenfm.de/, https://amerika21.de/, https://www.rubikon.news/ und ähnliche Alternativmedien übrig. Denn was man sonst serviert bekommt, löst zu einem immer grösser werdenden Teil nur noch Verachtung oder gar Angewidertsein bis hin zum Brechreiz aus.
Übrigens ist auch Telepolis ein Alternativmedium, und zwar ein gutes.
Insofern einmal Danke Dir, dass Du diesen Artikel hier zur Diskussion gestellt hast. Auch wenn Du mir vermutlich nicht antworten wirst, weil Du hier gar nicht mitliest, ist das völlig ironiefrei und ernst gemeint.
Denn Du hast so diese Gegendarstellung ermöglicht. Und zwar in einem Bereich, dem Nutzerforum, das Du völlig zu unterschätzen scheinst. Denn dieser Text hier wird gelesen werden, und er wird seine Wirkung haben, auf die eine oder andere Weise.
Die elektronischen Medien übernehmen ab hier.
Und das ist auch ganz gut so.
(Das Originalposting in den Kommentaren zum Artikel gibt's hier.)