Große Dinge sind in Bewegung geraten – Über die Entwicklung des Menschenrechts auf Privatheit und das der Meinungsfreiheit
Die Technologie scheint seit Jahrzehnten zum Feind des Menschenrechtes auf Privatheit geworden zu sein. Tech-Konzerne wie Google oder Facebook haben ihre Geschäftsmodelle auf dem Ignorieren alles Privaten, ja geradezu auf der milliardenfachen Verletzung von Privatsphäre aufgebaut. Der Mensch ist in ihren Plänen nicht mehr Konsument, wie sonst im Kapitalismus. Sondern sein Privatleben, seine Wünsche, Träume, sein Glauben, seine Vorstellungen und die vollständige Aufzeichnung seines Verhaltens und seines sprachlichen Ausdrucks, von denen alles andere abgeleitet wird, sind die Ware, mit denen die Kundinnen und Kunden des Silicon Valley beliefert werden. Mit der Corona-Krise und der letzten Wahl in den USA wurde jedoch eines deutlich: Das ist erst der Anfang. Und es geht längst nicht mehr nur um das Menschenrecht auf Privatheit.
Als US-Präsident Trump, der wie kein anderer die tiefe Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft personifiziert, seinen Twitter-Account verlor, wurde noch etwas deutlich: Der Geschäftsführer der Vereinigten Staaten wurde nicht von einem Gremium des US-Parlamentes abgesetzt in Form eines demokratischen Prozesses, sondern ein paar wenige Oligarchen im Silicon Valley haben miteinander gesprochen, und dann entschieden, dass es nun genug sei mit dem Inhaber des höchsten Staatsamtes in den USA. Dann knipsten sie ihn genauso einfach von der alles beherrschenden Kommunikationsstruktur der Social Media ab, wie sie es in der Folge nicht nur mit allen anderen Sprachrohren der Hälfte der US-Gesellschaft gemacht haben, die Trump unterstützt. In der öffentlichen Diskussion kommt kaum vor, dass dieser Entmündigung der Schandmäuler und Gegner der nun wieder herrschenden globalistischen US-Oligarchie eine zweite Welle von Löschungen folgte; diesmal ging es um alle anderen Abweichler, vor allem auch linke Kanäle, aber auch welche von nicht-US-hörigen Regierungen, die die herrschende Meinung, die ja immer die Meinung der Herrschenden ist, mit ihren Äußerungen wirksam in Frage stellen. In der direkt anschließenden dritten Welle wurde die Löschorgie weltweit durchgeführt, auch mit allen abweichenden deutschsprachigen Kanälen, die genügend Publikum erreichen.
In der Folge ist ein gesäubertes Social-Media-Internet entstanden, wie es zuvor nie existiert hat: Restliche Abweichler sind klar zu erkennen. Was die gewünschte Meinung ist, ist deutlich gemacht, sowohl durch die schieren Mengenverhältnisse (die reichweitenstarken unerwünschten Kanäle sind ja geschlossen) als auch durch die expliziten Markierungen, mit denen die Tech-Konzerne die wohl auch zur Ermahnung verbliebenen unerwünschten Meinungen kennzeichnen. Ausgerechnet das russische Social Medium Telegram wurde zum Refugium der Weggelöschten, die entweder keine andere Möglichkeit mehr gesehen haben, oder sich nicht bewusst sind, dass sie so vor einer Wiederholung ihrer Vertreibung stehen. Sie haben sich nur eine Pause verschafft, und wie lang das sein wird, steht in den Sternen – oder im Verhandlungsergebnis von Telegram mit Google und Apple, die als Gatekeeper kontrollieren, mit was für einer App im Smartphone-Markt Geld verdient werden kann.
Die globale Macht der Tech-Konzerne geht aber noch viel weiter. Und es ist nun eine zweite Generation von Technologieunternehmen an den Schalthebeln, die gleichzeitig verdeckter wie auch noch wirksamer die Kontrolle über das, was gesagt werden kann, und das, was geglaubt werden soll, übernimmt. Damit ist nicht Amazon gemeint, deren Bedeutung über die eines Buchhändlers hinaus nun endlich klar geworden ist, als sie die ausscherende Kommunikations-App Parler einfach abgeschaltet haben, indem sie der Firma die Infrastruktur der „Cloud“ per Mausklick entzogen – ein Vorgang, der jedem, der sich auf die „Cloud“ einlässt, zu denken geben sollte. Sondern es geht um Unternehmen wie den geheimdienstverbundenen US-TechKonzern Palantir. Während über die Beziehungen von Google und Facebook zu den Massenmedien viel gesprochen wird, agiert diese Überwachungs- und Manipulationsfirma meist fern vom Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Mehr Transparenz wäre jedoch angesagt, denn Palantir konzentriert sich von Anfang an auf die Stellen mit der höchsten Konzentration der Macht in der spätkapitalistischen Gesellschaft.
So liefert ausgerechnet die von der CIA-Tochter In-Q-Tel finanzierte Überwachungsgesellschaft Palantir das Know-Your-Customer-System beispielsweise an die Schweizer Großbank Credit Suisse. Bei KYC geht es auch um die Erfüllung einer Regulierungsauflage, die sich aus dem Geldwäschegesetz ableitet. Aber es geht um viel mehr als das: Über das Erstellen von Verhaltensprofilen jeder einzelnen Kundin, jedes einzelnen Kunden des kontoführenden Unternehmens wird offenbar, für was wann Geld an wen ausgegeben wird, aus welchen Quellen jeweils wieviel Geld wann eintrifft, und was das für die Interessen der jeweiligen einzelnen Kundinnen und Kunden bedeutet. Die Bank benutzt das, um ihren Kundinnen und Kunden individualisierte Angebote zu machen, ähnlich dem amazonischen „Kunden, die das gekauft haben, kauften auch“. Wofür die Geheimdienstmutter des Big-Data-Unternehmens ihr Wissen nutzt, bleibt geheim.
Die Wirkmächtigkeit einer Datenorganisation, die bis ins letzte Detail die Transaktionen aller Menschen durchleuchtet, wäre schon Grund genug für eine öffentliche Diskussion, vor allem im Zeitalter des „De-Cashing“, wie es in einem Papier des Internationalen Währungsfonds genannt wird. Der Einfluss des nach den „sehenden Steinen“ aus „Herr der Ringe“ benannten Unternehmens – im Buch werden jene vom Antagonisten Sauron kontrolliert – geht jedoch viel weiter. Analysiert man die Verflechtung von Palantir mit den Medien, so fällt zunächst auf, dass Palantir-Gründer Alex Karp im Aufsichtsrat des deutschen Axel Springer Verlags sitzt. Das ist jedoch kein Einzelfall, denn die Palantir-Verantwortliche für Strategie und Internationales Wachstum, Laura Rudas, wurde 2020 in den Verwaltungsrat des Schweizerischen Medienkonzerns Ringier berufen. Ringier fährt hier eine konsequente Strategie, denn der Konzern hat nun eine Banklizenz beantragt. Längst wendet man die Palantir-Software Foundry nicht nur zur Analyse des vergangenen Verhaltens der Leser und Medienrezipienten an, sondern auch zur Vorhersage ihres zukünftigen Verhaltens, um Finanzprodukte zu verkaufen. In der Foundry gießt Sauron die Ringe der Macht, und das Metall, aus dem sich die reale Macht manifestiert, sind jene individualisierten und profilierten Überwachungsdaten.
Über die Unabhängigkeit von Medien, die gleichzeitig das Interesse verfolgen, ihren Kunden Finanzprodukte zu verkaufen, mag ich hier nichts weiter ausführen. Wohl jedoch über die Machtkonzentration von Palantir, die nun nicht nur aus vielen Quellen Transaktionsdaten und thematische Interessen auf Einzelpersonen profilieren und immer größeren Einfluss nicht nur darauf haben, was den Menschen zum Kauf angeboten wird, sondern auch darauf, was jene für Nachrichten erhalten. Schon die Auswahl von individualisierten Nachrichten treibt die zunächst im Suchmaschinenkontext diskutierte Filterblase auf die Spitze; aber wir sind im Zeitalter von GPT-3 angelangt, der KI, die Artikel schreibt. Die Möglichkeit, auf die Wünsche, den Glauben und die Interessen abgestimmte Texte an Menschen zu liefern, mit denen man gleichzeitig das Interesse verbindet: „Make money!“, stellt eine nahe Zukunft der Massenmedien dar, die sich wohl nur noch schlecht mit dem demokratischen Prozess und seiner Idee der Informationsfreiheit und der freien Entscheidung von Bürgerinnen und Bürgern vereinbaren lässt – geheimdienstkontrolliert, wohlgemerkt.
Springer und Ringier sind Beispiele solcher Massenmedien, die im Moment gerade nicht mit dem Ruf nach dem Ausschluss allen Dissenses krähen – das übernehmen noch andere, und nicht nur in den Medien, wie der ehemalige Bundestagspräsident (und später -vizepräsident) Wolfgang Thierse erstaunt zur Kenntnis nehmen musste. Das SPD-Urgestein hat angeboten, sein Parteibuch abzugeben. Er hatte sich gegen die Ausrichtung seiner Partei auf das Hauptthema Identitätspolitik gewandt, in einer Zeit, in der noch nie so viel Geld in so kurzer Zeit vom Mittelstand an die Oligarchenschicht umverteilt wurde. Dieses die politische Linke lähmende wie spaltende Thema überdeckt beinahe vollständig die Tatsache in der öffentlichen Diskussion, dass Amazon-Chef Jeff Bezos alleine in den ersten sechs Wochen Corona sein Privatvermögen um 34 Milliarden Dollar steigern konnte – und jeden Tag wird sein Vermögen um Milliarden grösser –, während in New York nun 90% der Restaurants bereits pleite sind. Und die Pleitewelle durch die CoronaMaßnahmen betrifft ja nicht nur die Restaurants. Kulturbranche, Einzelhandel, mittelständische Betriebe, alle ringen ums nackte wirtschaftliche Überleben wie von der Rockefeller Foundation in ihrem Papier „Scenarios for the Future of Technology and International Development“ richtig vorhergesagt im Szenario „Lock Step“. Lapidar benennen die Experten dort, wie sie die Probleme sehen, wenn sich die Herrschenden für dieses Szenario entscheiden:
A world of tighter top-down government control and more authoritarian leadership, with limited innovation and growing citizen pushback
Bezos ist aber nicht alleine; das Wort Milliardär passt ja nicht mehr auf Leute wie ihn, die mit einem Privatvermögen von hunderten Milliarden wie die Kollegen Elon Musk und Bill Gates auch auf gewöhnliche Milliardäre mit drei oder vier Milliarden nur noch herabschauen können, auch wenn sich jene längst in Schattenbanken wie BlackRock und Vanguard in volkswirtschaftlicher Größenordnung syndikalisieren. Während Musk vom Mars träumt (aber auch einen Militärputsch im Lithium-Land Bolivien auf Twitter selbstbewusst unterstützt), und Jeff Bezos das Geld während der weitgehenden Schließung des Einzelhandels durch die Lockdown-Politik nur so in Strömen zufließt, hat sich Oligarchenkollege Gates auf ganz andere Felder spezialisiert.
Sein Steuerspar-Vehikel „Bill & Melinda Gates Foundation“ kontrolliert das während der Schweinegrippe als Public Private Partnership gegründete Privatunternehmen GAVI Alliance, das in der Schweiz in der Rechtsform einer Stiftung nicht nur steuerfrei agiert, sondern diplomatische Immunität besitzt. Diese Immunität bezieht sich auch auf die Mitarbeiter von Bill Gates, die dieses Unternehmen für ihn leiten, sowie auf die Unverletzlichkeit der Räume und Akten. Pharma-Großinvestor Gates hat nun im Zuge der Corona-Krise ein Spin-off davon gegründet, die COVAX Facility, ebenfalls ein Privatunternehmen als PPP. Dieser Firma haben die G7-Staaten die Verantwortung für die Impfzulassung übertragen, ein Multi-Milliardengeschäftsfeld, in dem Gates nun gleichzeitig als Investor wie auch als Kontrollstelle auftritt. Sein Geld legt Gates auch in anderen Feldern clever an: Mit dem größten privaten Landkauf der Geschichte hat er sich gerade in den USA quadratkilometerweise Farmland gesichert. Ganz offensichtlich wird sich sein Interesse nun neben Software und Pharmakologie auch auf die Lebensmittelversorgung ausdehnen.
Neben diesen Investitionen betreibt Gates aber auch zusammen mit Oligarchenkollegen die Initiative ID2020. Der globale Impfpass soll in diesem ambitionierten Projekt dazu genutzt werden, alle Menschen auf dem Planeten durchzunummerieren, um Personenprofile einschließlich Gesundheitsdaten weltweit zentralisiert verwaltbar und verwertbar zu machen. Ob das klappen wird, ist jedoch noch nicht entschieden, denn auch andere Mächte nutzen die Gunst der Corona-Stunde. In Deutschland beschloss soeben der Bundesrat, dass er die Wiedereinführung der Reichspersonalnummer als „Bürgernummer“ umgesetzt sehen möchte. Die EU hat ein eigenes ID- und Impfpasskonzept am Start, und in der Schweiz wird jetzt gerade über die E-ID abgestimmt, mit der der Schweizer Staat die von der Verfassung vorgeschriebene Subsidiarität umgehen möchte, um endlich alle Einwohner zentral erfassbar und verwaltbar zu machen.
Man muss wohl kein Prophet sein, um bei diesen Entwicklungen Schwierigkeiten für die freie Gesellschaft, die Demokratie und die Zukunft der Menschenrechte vorherzusagen. Auch wenn man an die vollständige Wiederherstellung der Bürgerrechte nach dem zukünftigen Beenden der Lockdown-Politik glaubt (die Rockefeller Foundation legt ihr Szenario Lock Step übrigens auf 20 Jahre an), so steht es sowieso nicht gut um die Menschenrechte und um deren Ausführung als Abwehrrechte gegen den Staat, die Bürgerrechte, wie sie in den demokratischen Verfassungen immer noch angelegt sind. Die Übertragung der Macht weg von den Staaten hin zu Oligarchen und Konzernen ist nicht mehr zu übersehen, so dass die Bürgerrechte zudem von dieser Seite aus unter Druck kommen. Denn jene Personen und Strukturen sind ja nicht für ihre Unterstützung von Demokratie und Menschenrechten bekannt, sondern viel eher für ihre klare hierarchische Struktur und Kontrolle durch Kapitaleigentümer.
Umso wichtiger wird es, sich jetzt wieder mehr für das Recht des Anderen auf Meinungsfreiheit, für echte Informationsfreiheit und für die Wiederherstellung der Privatsphäre einzusetzen. Noch ist die Macht der Staaten nicht vollständig an die Oligarchen übertragen. Dieser Prozess hat erst begonnen. Eine starke Gegenbewegung gegen jene, die Demokratie gefährdenden Entwicklungen wird dringend benötigt, damit der Staat diesen Umtrieben wieder Grenzen setzt im Wissen, dass die Bürger der Souverän sind, und nicht der Politiker oder dessen Finanzierungsquelle. Wie schade, dass die Linke gerade mal wieder mit sich selbst beschäftigt ist – interessanterweise mit einem Thema, das wie der Überwachungskapitalismus auch von der (vermeintlich) progressiven Elite der US-Gesellschaft herstammt, die erneut die Oberhand gewonnen hat. Google bis Palantir sind ja genauso Ergebnisse der die USA kontrollierenden Küsteneliten wie Diversity und Identitätspolitik auch, und werden mit derselben Vehemenz von den Massenmedien propagiert, die längst allerseits in Medienkonzernen konzentriert wurden.
Es wird Zeit für eine alternative Kommunikationsstruktur, oder die Menschenrechte werden zu reinen Werbegags und Ausreden, weshalb man andere Länder mit Krieg bedrohen will – Splitter und Balken in allen Augen inklusive. Damit überhaupt noch unmanipuliert kommuniziert werden kann, braucht es mindestens föderierte Kommunikationsplattformen wie Mastodon, besser endlich von niemand kontrollierbare Peer-to-Peer-Lösungen wie Tox.chat oder p≡p. Das alleine wird zwar nicht reichen, um die freien Gesellschaften wieder zu stabilisieren. Aber es ist eine der notwendigen Bedingungen dafür, wie auch die Verwendung von Bargeld, um sich jetzt der holistischen Überwachungs- und Manipulationsmaschine noch entziehen zu können.
(Erstveröffentlichung in FIfF-Kommunikation 1/2021 “Mit dem Wissen wächst der Zweifel”)