Künstliche Intelligenz in der Europäischen Verteidigung: Eine autonome Aufrüstung
Hoch fliegende Pseudo-Satelliten, die weit- räumige Gebiete monatelang überwachen; Drohnenschwärme, welche die Umgebung von Feldlagern und „kritischen Infrastruk- turen“ sichern; Computersysteme, die Ziele vorschlagen und die optimale Schusslinie be- rechnen; Chat-Bots, die Jugendliche für den Militärdienst begeistern und die tatsächliche Lage auf fernen Gefechtsfeldern verschleiern sollen; automatisierte militärische Logistik und (Rüstungs-)Produktion: Viele der aktu- ellen Rüstungsprogramme der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten haben auf die eine oder andere Weise mit Künstlicher Intelligenz zu tun.
Für die Bevölkerungen in Europa stellt die aktuelle, von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) getriebene Aufrüstung der Europäischen Union eine Bedrohung dar. Dies alleine schon deshalb, weil nicht zu- letzt die Covid-19 Pandemie gezeigt hat, dass das Geld, das damit der Rüstungsindustrie zugeschustert wird, z.B. in der Pflege und im Gesundheitswesen dringend benötigt wird. Aber auch deshalb, weil diese spezifische Form von Rüstung nicht nur das Potential hat, völlig neue Formen der Überwachung und Propaganda innerhalb Europas hervor- zubringen, sondern auch eine militärische Eskalation der latenten Konflikte unter und mit Großmächten anheizt und wahr- scheinlicher macht. Während es sich bei den Erwartungen an eine „Super-KI“ vor allem um einen Hype zu handeln scheint, mit dem Industrie und (Risiko-)Kapital öffentliche Gelder für ihre Profite mobilisieren wollen, finden KI-Anwendungen im Zuge der aktu- ellen Aufrüstungsspirale nichtsdestotrotz auf allen Ebenen Einzug in militärische Systeme und Planung.
Es droht vielleicht kein plötzlicher, aber sicherlich ein schleichender Kontrollver- lust. Denn die aktuelle Aufrüstungsspirale beinhaltet nicht nur die Entwicklung von Drohnenschwärmen und Killerrobotern, sie droht auch, die gängigen Unterscheidungen zwischen Krieg und Frieden, Zivilist*innen und Kombattant*innen aufzuheben und das Gefechtsfeld völlig zu entgrenzen – wie dies in der Cyberkriegführung bereits der Fall ist. Eine Studie der RAND Cooperation etwa, die im Auftrag der European Defence Agen- cy in den Rüstungskatalog der EU (Capabili- ty Development Plan von 2018) eingegangen ist, prognostiziert eine nahezu vollständige Bedeutungslosigkeit des Völkerrechts nach 2035. Nationale und internationale Regula- rien tauchen darin primär als Hindernisse bei der Realisierung technologischer Mög- lichkeiten auf.1