Gestern war ich nach der Aufführung noch in einer Diskussion, und mir ist aufgefallen, dass einige nicht verstehen, wo das Problem mit dem Durchnummerieren von Menschen wie bei der E-ID liegt
In der Schweiz ist die Einführung einer zentralen elektronischen Nummer für alle Menschen geplant, der E-ID Schweiz. Das Werbeversprechen dabei ist:
Durch eine elektronische Identität (E-ID) sollen sich die Nutzerinnen und Nutzer im Internet korrekt und sicher identifizieren können. Dafür brauchen sie eine E-ID.
Immer mehr Leute tätigen ganz unterschiedliche Geschäfte im Internet, bei denen sie sich identifizieren müssen. Die dafür eingesetzte elektronische Identität (E-ID) soll korrekt sein und vor Verwechslungen schützen. Um zu verhindern, dass falsche elektronische Identitäten ausgestellt werden, hat der Bundesrat die Kernaufgabe bei der Ausstellung einer E-ID, nämlich die amtliche Prüfung und Bestätigung der Existenz einer Person und ihrer Identitätsmerkmale wie Name, Geschlecht oder Geburtsdatum, als Staatsaufgabe definiert.
Nun wird diese Massnahme hart kritisiert. Dabei klingt das vielleicht gut, wenn man es unbedarft anschaut. Die Kritik kommt jedoch besonders aus dem libertären, aber auch aus dem basisdemokratischen Lager. Wo liegt also das Problem?
Diktatur und Untertanen – Demokratie und Bürger
Diktaturen suchen immer eine zentrale Verwaltung ihrer Untertanen. Denn für die Diktatur ist es sonst schwierig, ihre Macht über wirklich alle auszubreiten. Gelingt es nicht, alle Menschen zu erfassen, so bleibt Raum für den Widerstand, sich zu verstecken.
Entsprechend ist eine typische Massnahme, alle Menschen unter Kontrolle zu bekommen. Und das setzt voraus, dass man auch alle Menschen kennt, und alle voneinander unterscheiden kann, damit man über jeden aufzeichnen kann, ob sie oder er brave(r) Unterstützer(in) und Untertan(in) der Diktatur ist, oder ob man Unterdrückungsmassnahmen anwenden soll, damit das so wird.
Und daher ist das Durchnummerieren von Menschen ein Klassiker, wenn es um die Einführung eines Unterdrückungssystems geht. Es ist notwendig, und es ist auch ein sicheres Zeichen dafür, dass ein zentrales Machtsystem eingeführt wird, wenn es gemacht wird.
Bei einer Demokratie entgegnet man dem mit dem Subsidiaritätsprinzip. Das bedeutet, dass die Verwaltung nicht zentralisiert wird, sondern immer möglichst auf unterster Ebene der Verwaltungsgliederung durchzuführen ist. Hier ist eine Zentralmacht, die alle Untertanen beherrscht, ja gerade nicht gewünscht. Im Gegenteil, es sollen selbstbestimmte Bürger den dafür notwendigen Raum bekommen. Entsprechend sind es hier die Städte und Gemeinden, die die Einwohnerämter führen. Und ein zentraler Abgleich ist unerwünscht, um eine solche Zentralmacht zu verhindern.
Das “Dritte Reich” und das Durchnummerieren von Menschen
Wenn ich also sage, dass wir in Deutschland 1943 ein solches Projekt hatten, dann meine ich damit nicht den Holocaust, also das systematische Vernichten von Menschen (vor allem von Juden, aber auch Sinti und Roma, Sozialisten, Schwule, etc.). Das war auch nicht 1943, sondern ab 1941. Die Nazi-Diktatur hatte mehrere Projekte. Ich meine ein anderes, nämlich die Reichspersonalnummer. Oja, diese Projekte hängen durchaus zusammen, und zwar aus dem oben dargestellten Grund.
Die DDR und das Durchnummerieren von Menschen
Es gab in der deutschen Geschichte noch eine Diktatur, die sich ebenfalls mit dem Problem beschäftigt hat (wie alle Diktaturen), nämlich die DDR. Und nein, mir geht es auch nicht um den Vergleich Nazireich-DDR. Der ist Unsinn. Aber es geht um zwei totalitäre Staaten, und auch wenn die völlig unterschiedlich motiviert und ausgeführt waren (und die Nazis mit dem Holocaust ein einzigartiges Verbrechen durchgeführt haben), so ist es jedoch kein Zufall, dass beide sich ein Nummerierungssystem für ihre Untertanen ausgedacht haben. Was für die Nazis die Reichspersonalnummer war, war in der DDR die Personenkennzahl.
Die E-ID, das eletronische Durchnummerieren von Menschen
Ihr könnt Euch sicher nun das Misstrauen vorstellen, was man als Demokrat hat, wenn jemand eine zentrale Nummer für alle Menschen in einem Land einführen möchte. Weshalb soll diese notwendig sein? In einer Demokratie vermeidet man sie ja gerade absichtlich. Eine solche Nummer ist jedoch auch die E-ID. Und sie ist sogar noch gefährlicher als eine gewöhnliche “Personenkennzahl”. Denn ein Unterdrückungsapparat, der von vornherein elektronisch aufgebaut wird, ist um vieles effektiver als alles, was man mit Stift und Schreibmaschine auf Papier schreiben könnte.
Die E-ID ist also nicht nur ein “digitales” Problem, aber auch. Sie hebelt das Subsidiaritätsprinzip aus. Und das ist eines der Grundprinzipien, wenn man keine Zentralmacht möchte, sondern selbstbestimmte Bürger, damit es keine Macht gibt, die alles über alle weiss. Die Erfahrung zeigt, wo das allenfalls hinführt: ganz sicher nicht zu selbstbestimmten Bürgern.
Deshalb ist die E-ID aus demokratischer Sicht abzulehnen.