Warum es nicht “AfD”-Populismus braucht, sondern einen Volkstribun und in der Demokratie das Volk – eine Replik
Alexander Gauland, Parteichef und Bundestags-Fraktionsvorsitzender der sogenannten “AfD”, verklärt die Genese seiner Partei in der FAZ wie folgt:
Im Zuge der Globalisierung hat sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts eine neue urbane Elite gebildet, man könnte auch von einer neuen Klasse sprechen. Zu ihr gehören Menschen aus der Wirtschaft, der Politik, dem Unterhaltungs- und Kulturbetrieb – und vor allem die neue Spezies der digitalen Informationsarbeiter. […] Der globalistischen Klasse gegenüber stehen zwei heterogene Gruppen, die in der AfD eine Allianz eingegangen sind: zum einen die bürgerliche Mittelschicht, zu der auch der wirtschaftliche Mittelstand gehört, der nicht einfach seine Unternehmen nach Indien verlagern kann, um dort besonders billig zu produzieren; zum anderen viele sogenannte einfache Menschen, deren Jobs oft miserabel bezahlt werden oder nicht mehr existieren, die ein Leben lang den Buckel krumm gemacht haben und heute von einer schäbigen Rente leben müssen.
Er könnte nicht weiter weg von der Wahrheit liegen. Schaut man sich den Hintergrund von Gauland sowie den seiner Parteifreunde an, so kommt man zu einem völlig anderen Bild.
Nationalistische Neoliberale und PR-Berater
Da wäre zunächst Gaulands “AfD”-Kovorsitzende der Bundestagsfraktion und Oppositionsführerin Alice Weidel zu nennen. Weidel lebt in einer LGBT-Beziehung mit einer Fernsehmoderatorin im schweizerischen Biel. Ihre Promotion wurde von der Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert. Vor ihrer Doktorarbeit beschäftigte sie das US-Finanzinstitut Goldman Sachs. Danach war sie als Unternehmensberaterin u.a. für Rocket Internet tätig. Interessanterweise gehört Weidel also genau der internationalen Elite an, die Gauland farbenfroh als die Klasse beschreibt, die die “AfD” scheinbar bekämpft – und nicht etwa dem “wirtschaftlichen Mittelstand” und schon gar nicht den “einfachen Menschen, deren Jobs oft miserabel bezahlt werden”.
Nicht weniger Fragezeichen wirft Gaulands Darstellung auf, wenn man sich die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden anschaut: Beatrix Amelie Ehrengard Eilika von Storch, geborene Herzogin von Oldenburg, ist eine bekannte Lobbyistin für die christlich-konservativen Interessen von Hoch- und Finanzadel. Zusammen mit der Fraktionsvorsitzenden Weidel ist von Storch aktives Mitglied in der marktradikal-neoliberalen Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft, benannt nach dem Gründer und ersten Präsidenten der Mont Pelerin Society, dem Herzstück der internationalen neoliberalen Bewegung. Mitglied war ursprünglich übrigens auch FDP-Chef Christian Lindner; derselbe ist jedoch aus Protest gegen die Konkurrenz-Gründung “AfD” ausgetreten.
Auch die weiteren Stellvertreter zeigen ein völlig anderes Bild auf: Ex-Soldat und PR-Berater Peter Felser schreibt für die “Junge Freiheit”. Er führt einen Verlag, der u.a. Publikationen zu Traktoren sowie zur Militärgeschichte herausgibt. Roland Hartwig war Chef-Justiziar der Bayer AG. Auch Radiomoderator und Diskjockey Leif-Erik Holm will nicht so recht zur Darstellung des Berufspolitikers Alexander Gauland passen. Alleine Malermeister Tino Chrupalla passt als Ausnahme in das von Gauland gezeichnete Bild des “wirtschaftlichen Mittelstandes” – wenn man einen zur “bürgerlichen Mittelschicht” zählen möchte, der “die Zeitungsredaktionen in die Schranken [weisen]” möchte und dafür auch das Grundgesetz ändern.
Noch weniger stimmen die Fakten einerseits und die Legendenbildung Gaulands andererseits überein, wenn man einen Blick auf jenen anderen Flügel der “AfD” wirft, den man wohl am besten mit “nationalsozialistisch” beschreibt: den Flügel hinter Bernd Höcke. “Wissenschaftler attestieren ihm Rechtsextremismus, Geschichtsrevisionismus und teilweise Übernahme nationalsozialistischen Gedankengutes”, schreibt das Lexikon über ihn, und er selbst bezeichnet PEGIDA als “parlamentarische Vorfeldorganisation in Dresden”. Höcke steht dem rechtsextremen Publizisten und Aktivisten Götz Kubitschek nahe. Die politische Verortung diesen Flügels der “AfD” ist also ebenfalls klar.
Der Wahrheit der Bildung der “AfD” kommt also viel näher, dass sie ein Bündnis der nationalistischen Fraktion der marktradikalen Neoliberalen ist – also der Fraktion, die statt transnationaler Organisationen wie der EU besser das nationale Deutschland heute schon in Führung gehen sehen möchte – mit einer Gruppe von Rechtsextremen und Neonazis. Neofaschismus trifft Neonationalismus.
Propaganda im Futurismus – Marinetti lässt grüssen
Ob die hehren Ziele der “AfD”, die Gauland nennt, also tatsächlich ausgerechnet von Elitenangehörigen verfolgt werden, die selbst der marktradikalen Bewegung (oder einer noch schlimmeren “Bewegung”) angehören, steht zu bezweifeln. Der rechte Flügel der FDP schliesst sich mit Neonazis zusammen, und die vertreten dann den “kleinen Mann”? Der Fraktionsvorsitzende legt sich jedoch erst einmal voll ins Zeug und definiert:
Populistisch heißt: gegen das Establishment.
Das sagt ausgerechnet einer, der jahrzehntelang CDU-Berufspolitiker war, und nun “AfD”-Berufspolitiker ist. Einer, der seine Partei zusammen mit einer Goldman-Sachs-Frau und einer Vertreterin des Hochadels leitet. Einer, der schon immer genau jenem Establishment angehört, das er angeblich bekämpfen möchte. Wie glaubwürdig das ist, zeigt dann auch die Methodik, mit der die “AfD” vorgeht.
Da wäre zunächst einmal das Astroturfing zu nennen, das PR-Leute der “AfD” mit einem wahren Heer von Internetrollen und Sockenpuppen verbreiten. In Social Media wie Facebook oder dem Heise-Forum ist das notorisch – inzwischen dürfte das auch den meisten Forennutzern klar geworden sein. Interessant sind dabei jedoch auch die Argumentationslinien und deren kultureller Hintergrund – es werden nämlich nur teilweise Propagandatexte der Nationalsozialisten eingesetzt. Die PR-Profis der “AfD” haben richtig erkannt, dass erst einmal die Tabus aufgebrochen werden müssen, die die Amerikaner in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg installiert haben, so dass es nicht mehr so einfach ist, ungesühnt offen Rassismus und Kulturchauvinismus zu verbreiten. Am wichtigsten ist den neofaschistischen Propagandisten deshalb, dass sie auf keinen Fall als die Neonazis bezeichnet werden wollen, die sie (zumindest zu einem guten Teil) jedoch tatsächlich sind. Die “Nazikeule” wurde erfunden, zusammen mit der angeblichen “Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus” wenn man einen modernen Rassisten und Kulturchauvinisten einen Nazi nennt, sowie der Lüge, Hitler sei etwa Sozialist gewesen und wäre damit politisch links gestanden – alles Abwehrstrategien, um das Nazi-Tabu zu umgehen.
Gleichzeitig arbeiten die PR-Leute (mit offensichtlich viel Geld im Rücken) am Aufbrechen besagter Tabus mittels Ironisierung. So nennt sich das inzwischen fast vollständig rechtsextreme Imageboard pr0gramm selbstironisch “frauenfeindliche Nazicommunity”. Wer das für überzogen hält, der soll einfach noch einmal das Futuristische Manifest lesen und sich dann verschiedene Tags im Board anschauen.
Der Faschismus-Erfinder Benito Mussolini sagte einmal, der Faschismus müsse eigentlich Korporativismus genannt werden, denn er sei die Verbindung der Konzernmacht mit der Staatsmacht. Wie die Geschichte zeigt, führt das sofort in eine totalitäre Gesellschaft. Liegen Gauland und seine Partei dann aber wirklich so weit weg von der Kanzlerin mit solcher Methodik, oder erfüllen sie nicht geradezu die Forderung der Kanzlerin, Demokratie müsse vor allem auch erst einmal “marktkonform” sein?
Eine Volkstribunin und ihr Volk
Der einzige wahre Satz in Gaulands Text wird das vergiftet Lob für Sahra Wagenknecht sein, das er eingestreut hat – wohl um seiner politischen Gegnerin zu schaden. Dabei täte eine wahre Volkstribunin Not, und das nicht nur in Deutschland, sondern auch in der EU: denn Demokratie heisst Volksherrschaft. Und Volkstribune sind genau dann besonders gefordert, wenn die Eliten ihre eigenen Interessen nicht mehr nur verfolgen, sondern die Interessen der “einfachen Menschen” beginnen komplett auszublenden oder gar absichtlich zu missachten. Denn nichts anderes ist es, wenn der inzwischen zum fünften Mal verheiratete Ex-Kanzler Gerhard Schröder beim WEF in Davos sagt, er habe einen der “besten Niedriglohnsektoren in Europa aufgebaut”. Diejenigen, die seither millionenfach in den besagten Niedriglohnsektor hineingezwungen werden, werden das wohl kaum als in ihrem Interesse liegend sehen. Und das pur neoliberale Parteiprogramm der angeblich ach so an die Kleinen Leute denkenden “AfD” enthält nichts, um das zu korrigieren – im Gegenteil.
Es bleibt also für diejenigen, die gegen das Establishment wählen wollen, als einzige im Bundestag vertretene Parteie nur die Linke übrig, die keine Finanzierung aus der Industrie erhält. Und dort bleibt wirklich nur #aufstehen gegen solche Eliten.