„Ohne die NSU-Erfahrung würde man die Gefahr des Rechtsterrorismus noch immer unterschätzen“
Als Opferanwalt der Nebenklage begleitet Mehmet Daimagüler den NSU-Prozess seit 2012, Ende vergangenen Jahres hat er dazu ein Buch veröffentlicht, in dem er dem Staat Versagen vorwirft. Im Interview mit ENDSTATION RECHTS. spricht der Autor über das V-Mann-System, institutionellen Rassismus und Lehren, die aus dem Prozess um das Terror-Netzwerk gezogen werden sollten.
Wenn selbst beim Verfassungsschutz mittlerweile klar ist, dass die V-Männer kaum wertvolle Informationen liefern, warum hält man dann in den Behörden trotzdem an dieser Praxis fest?
Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens, aus der Sicht des Apparates: Ist er einmal da, will er wachsen. Das gilt für jeden Apparat, sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Bereich. Wenn sie eine Institution schaffen, fängt diese an, mehr Planstellen und Geld zu fordern. Andererseits will, wie erwähnt, kein demokratisch gewählter Politiker sich vorhalten lassen, dass durch eine Einschränkung des Dienstes ein Anschlag nicht verhindert worden konnte.
Wir leben in einer Art ständigem DEFCON-2-Alarm, der mich zum Teil an Orwells „1984“ erinnert. Eine ständige Furcht, die jede Maßnahme, die mehr Sicherheit verspricht, rechtfertigt. Das heißt nicht, dass wir kein Terrorproblem haben. Ich bin aber davon überzeugt, dass Terror unsere Demokratie nicht ernsthaft gefährden kann. Was die Demokratie gefährdet, ist die politische Reaktion auf Terror, an dessen Ende oft mehr Freiheit für den Bürger und mehr Macht für Geheimdienste steht, wohlgemerkt für Geheimdienste, über die es nach meiner Überzeugung keine effektive und umfassende parlamentarische Kontrolle gibt.