Karriereleichen: Der tote Winkel der Forschungsethik — Freiburger Tagebuch (2)
Heute möchte ich irgendetwas über Ethik schreiben, denke ich, als mein erster Unterrichtstag zur Mittagszeit endet. Ich gebe als Lehrbeauftragter an der Universität Freiburg einen jährlichen Kurs, den ich diesmal »Ethics in Sustainable Development« nenne, und die heutige Tagesüberschrift lautete «What is ethics?». Die Teilnehmer sind eine große, buntgemischt internationale Gruppe vorwiegend aus Naturwissenschaftlern und und Ingenieuren.
Auch beim gestrigen Abendessen mit einem Freiburger Kollegen dreht sich das Gespräch um die ethischen Irritationen unseres Berufslebens: Ein Vorgesetzter an der Universität verweigert es einem Familienvater, der für ihn arbeitet, über die Möglichkeiten und Absichten hinsichtlich einer Stellenverlängerung auch bloß Auskunft zu geben. Die Überarbeitung einer Studienordnung ist didaktisch dringend nötig, wird aber vielleicht um Jahre verschoben, bis die Fakultäten, die am Studiengang beteiligt sind, sich auf einen Finanzausgleich und eine Neuabsteckung institutioneller Territorien geeinigt haben. Dieselben Einrichtungen, die in der Öffentlichkeit und ihren Projektmittelanträgen zu zukunftsorientiertem Denken und nachhaltiger Entwicklung mahnen, wollen sich intern auf keine langfristige Politik festlegen und halten ihre Angehörigen im Modus des kurzfristigen Aktionismus. Und ist es nicht bedrückend, fragen der Kollege und ich einander, daß sich Gespräche mit Forscherkollegen fast immer um Stellen, Geld, Macht und das Planen unter allseitiger Zukunftsunsicherheit drehen statt um die Inhalte der Wissenschaft?