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Der Liberalismus ist tot, der Konservativismus steckt tief in der Krise

Über das Scheitern des Postkonservativismus – Liberale wie Konservative haben über Jahre auf naive mechanizistische Ideologie gesetzt und eine Technokratie installiert. Jetzt erhalten sie die Quittung.

Kein Politiker hat wohl die weltweite politische Kultur in den letzten Jahren nachhaltiger beeinflusst und geschädigt als Margaret Thatcher. Über die studierte Chemikerin und Juristin muss wohl noch positiv vermerkt werden, dass sie an der Erfindung des Soft-Eis beteiligt war. Ihre politische Haltung, ja Sturheit hatte ihr aber ganz passend den Namen “Iron Lady” eingebracht, den sie selbst wohl mochte.

Thatcher sorgte dafür, dass bis heute England in allem ein wahres Musterland der Unkultur darstellt, die in ihren verschiedenen Ausprägungen unter den beiden ebenso zutreffenden wie an der Sache vorbeigehenden Bezeichnungen “Neokonservativismus” und “Neoliberalismus” bekannt ist. Die Vorsilbe “Neo” sollte wohl viel eher durch die Vorsilbe “Post” ersetzt werden, denn weder mit Freiheitsgedanken noch mit dem lateinischen conservare, “bewahren”, hat diese Ideologie und haben erst recht die Handlungen der Protagonisten nichts zu tun.

So lassen sich auch die Auswirkungen dieser später von U-Booten in der Sozialdemokratie wie Blair oder (in Deutschland) Gerhard Schröder nachdrücklich verfolgten Förderung und Enthemmung von Dummheit und Gier bis heute am besten in England beobachten: die Bahn, einst Stolz und Vorzeigeobjekt, ist am Ende, das Staatssystem zerrüttet, das Währungssystem gescheitert. Von einem Sozialstaat mag man gar nicht mehr reden, das Gesundheitssystem kämpft um die Existenz. Die Riots, die kürzlich in Tottenham ihren Anfang machten, und sich schnell übers ganze Land ausbreiteten, sind ein Symptom für die eigentliche Krise.

Doch was ist geschehen? Hatte Thatcher nicht mit dem Britenrabatt eine ganz besonders vorteilhafte Position in der EU für Grossbritannien erstritten? Hatte sie nicht endlich die notwendigen und befreienden Reformen für ihr Land eingeleitet? Und zeigte sie nicht endlich da Härte, wo sie notwendig ist (neudeutsch sagt man alternativlos), um die Handlungsfähigkeit des Staates zu erhalten?

Bis heute hält sich dieser Mythos, nicht nur im UK, sondern auch in “Kontinentaleuropa” wie den USA, und sogar am anderen Ende der Welt, in Australien und Neuseeland, wo der Thatcherismus zu unser aller Unheil kopiert worden ist. Er scheint nicht mehr aus den Köpfen herauszuwollen, trotz einer weltweiten Finanzkatastrophe an der anderen.

Wie Hohn klingen heute die Hinweise konservativer wie damals noch als liberal zu bezeichnender Politiker in den 80er und 90er Jahren, man müsse die Sozialdemokratie nicht nur an ihrem guten Willen, sondern vor allem auch an ihren Ergebnissen messen. Heute, in einer Zeit, in der der beinhart opportunistischen CDU-Kanzlerin von rechter Seite zu viel Sozialdemokratie vorgeworfen wird, obwohl sie nicht den geringsten Hang zu sozialdemokratischen Ideen zeigt (wenn man, wie auch im Falle Thatcher, die Gleichstellung der Frau einmal weglässt), in diesem Heute ist der Ruf nach Konsequenzen aus den Folgen politischen Tuns beinahe verstummt.

Dabei wäre nichts notwendiger, als diesen wieder aufleben zu lassen.

Gräbt man nach den Ursachen dieses Zustandes, so führt kein Weg an der Betrachtung der postliberalen und postkonservativen Ideologie vorbei: denn diese ist Ausgangspunkt wie Energiequelle für eine nicht enden wollende Dauerkatastrophe, die immer schneller in immer heftigeren Wellen die westliche Welt in den Abgrund zieht.

Die Wahrheiten hinter dieser Krise betreffen ehemals liberale wie einst konservative Parteien, und auch die noch dem Namen nach sozialdemokratischen Parteien stecken tief in dieser Ideologie fest, werden um so heftiger von diesen Wahrheiten eingeholt:

Die Annahme, Menschen agierten rational und effizient, ist falsch. Das tun Menschen nicht nur in Märkten nicht, sondern Menschen reagieren prinzipiell erst einmal emotional, und sind durch Ideen und Emotionen beeinflusst in ihrem Handeln. Das gilt für alle Menschen, und die Annahme, dass die Wirtschaftseliten davor gefeit seien, und solches nur für die “dummen” Konsumenten zutreffe, ist ebenso falsch.

Die Annhame, der Markt verhalte sich vorhersehbar, ist falsch. Marktsysteme sind nicht nur als komplexe dynamische Systeme prinzipiell nicht vorhersagbar, sondern auch die darin agierenden Personen sind es schon gar nicht.

Die Annahme, die Gegenkopplung von Angebot und Nachfrage regle den Markt, ist falsch. Ganz im Gegenteil ist so maximal ein kurzfristiges instabiles Gleichgewicht zu erhalten, denn Mitkopplungseffekte wie Moden und sozial determinierte Ängste wirken sich weit stärker aus, und lassen der spekulativen Manipulation freien Raum.

Das Vertrauen in die Wirtschaftsteilnehmer ist völlig falsch. Wenn sich derjenige mit der kleinsten ethischen Behinderung und der grössten Gier immer durchsetzt, zerstört das das soziale Miteinander, und schadet schliesslich allen.

Die Annahme, Wirtschaft verdiene ein Primat noch vor der Politik, ist falsch. Wirtschaft leistet per se noch gar nichts für das Gemeinwohl, sondern muss erst einmal gezähmt und geschirrt werden, bevor ihre Kräfte den Pflug über den Acker ziehen. Und wenn die Politik das nicht tut, sondern sich und die ihren dem Raubtier Wirtschaft ungehemmt ausliefert, so führt das weg von jeder politischen Kultur zurück in das “Recht des Stärkeren”, letztlich in Unfreiheit, Lehensherrschaft und Sklaverei.

Die Geringschätzung der Idee wie der Neugier, und die Hochschätzung für Effizienz und Anpassung, zerstört nicht nur die freiheitliche Kultur, sondern sie behindert und letztlich verunmöglicht auch die Forschung. Die Annahme, Ideen liessen sich konstruieren, Innovation liesse sich managen, sind falsch. Sie sind das direkte Ergebnis des naiven Mechanizismus der postliberalen und postkonservativen Ideologie. Und da sich Ideen nicht konstruieren lassen, lässt sich Forschung auch nicht sinnvoll planen.

Die Staatsidee des Nachtwächterstaates funktioniert genausowenig wie Privatisierungen das Gemeinwohl erhöhen. Sogar die Sozialdemokratie, die ja historisch eine ausgewogene und pragmatische Verteilung von staatlichen wie privaten Institutionen und deren Machtspiel vertreten hat, steht in allen Versuchen, rein Gemeinschaftliches der “Effizienz” wegen lieber privat verwalten zu lassen, vor einem Scherbenhaufen: kein einziges Privatisierungsprojekt ist in dieser Hinsicht gelungen. Die Ergebnisse sind immer gleich: privat werden Vermögen damit angehäuft, der Staat dagegen häuft Schulden. Und die Infrastruktur wird schlechter.

Schliesslich ist die Idee, mit dem Ersetzen von Bildung durch Ausbildung die “Leistungsfähigkeit” in Wirtschaft und Forschung zu erhöhen, falsch. Ungebildete und dafür gut abgerichtete Menschen arbeiten tatsächlich erst einmal effizienter. Aber effiziente Arbeit ist genau das, was problemlos durch Automation und IT, durch vollautomatisierte Produktion wie durch Robotik ersetzt werden kann und wird. Jetzt auf Spezialgebiete abgerichtete Menschen im Produktionsprozess einzusetzen, brückt gerademal ein paar Jahre bis zur Abschaffung sämtlicher solcher Arbeitsplätze. Warum China nicht gerade für seine vielen Erfindungen bekannt ist, scheint niemand zu reflektieren, der diesem Denkfehler aufgesessen ist.

Die typisch deutschen Exzesse dieser Ideologie wie die Idee, Binnennachfrage funktioniere auch ohne Kaufkraft, und der Export sei sowieso wichtiger und das, worauf man bauen müsse, haben nun katastrophale Ergebnisse gezeigt – trotzdem wird unter dem Einfluss der postliberalen Ideologie in der öffentlichen Diskussion völlig ausgespart, dass man nicht die Griechen rettet, sondern wieder einmal die Banken. Mit diesen rettet man zuerst die Profiteure, die wider aller volkswirtschaftlicher Vernunft nicht einsehen können und aus klar kurzsichtigen persönlichen Motiven nicht einsehen wollen, dass das, was der eine an Überschuss exportiert, der andere überschüssig importieren muss, denn Volkswirtschaft ist nun einmal ein Nullsummenspiel. Und dass diese Kunden auf Dauer damit sicher pleite gehen, ist notwendige Folge solchen Handelns. Das Züchtigen der säumigen Schuldner wird daran rein gar nichts ändern, allenfalls verschlimmert es die poltische Kultur weiter.

Wer endlich einmal diese Fakten und Wahrheiten wie Frank Schirrmacher zur Kenntnis nimmt, und sein postkonservatives Weltbild überdenkt, dem kann man ein “Besser spät denn nie!” zurufen. Es sind die ehemals Konservativen wie Liberalen, die ganz offensichtlich bis zum Armageddon auf dieser Schiene bleiben wollen, die diese Krise verschulden und verantworten.

Und entweder, ein grosser Teil diessr Personen wird demnächst wie Schirrmacher aus dem bösen Traum erwachen, oder sie werden das Ziel dieser Reise erreichen.

Und wir alle mit ihnen.

publiziert Fri, 23 Sep 2011 20:30:45 +0200 #kommentar #politik

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