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Warum Atheisten nicht “aussterben” (und auch nicht “verebben”)

Über diesen “Ketzerpodcast” bin ich heute gestolpert. Interessant daran finde ich, dass die Diskutanten dort in der Absicht, Michael Blume zu widerlegen, dessen Denkfehler nachturnen – nur in die andere Richtung ausgelegt. Blume, der glaubt zu “wissen“, dass es seinen Gott gibt, und der darüber hinaus festen Glaubens ist, dass Religiosität etwas positives ist, stehen dort Jungs gegenüber, die genauso fest glauben, dass Religion Quatsch ist. Weder diese Jungs noch Blume argumentieren jedoch wissenschaftlich. Das könnt Ihr schon daran feststellen, dass man wissenschaftlich zur Frage, ob es einen Schöpfer in der Realität gibt oder nicht, nur mit “sieht nicht so aus” Stellung nehmen kann. Das ist in der Wissenschaft vielmehr ein Fall für Ockhams Rasiermesser. Nur: warum ist das so? Und welche Bedeutung hat “Ockhams Rasiermesser”?

Ein Bisschen Wissenschaftstheorie

Zunächst einmal muss man, wenn man Wissenschaft betreiben will, Spielregeln aufstellen – die wissenschaftliche Methodik. Dabei gibt es allgemeine Spielregeln, die Wissenschaft immer erfüllen muss. Welche das sinnvollerweise sind, wird in der Wissenschaftstheorie untersucht. Dann gibt es spezielle Spielregeln, die nur für einen bestimmten Bereich in der Wissenschaft gelten. So muss man Kulturwissenschaften anders betreiben als z.B. Naturwissenschaften. Innerhalb eines solchen Bereiches gibt es dann Einzelwissenschaften, z.B. Physik oder Biologie in den Naturwissenschaften, oder Politik und Geschichte in den Kulturwissenschaften. Jede Einzelwissenschaft entwickelt ihre ganz eigene Methodik, passend für das jeweilige Fach. Wer diese strengen Vorgehensweisen missachtet, der betreibt eben auch keine Wissenschaft.

Ohne Methodik keine Wissenschaft

Die Wissenschaftstheorie selbst ist ein Teilgebiet der Epistemologie, der Erkenntnistheorie – ein Feld in der Philosophie, bei dem es um die Frage geht: wie kann ich Erkenntnis gewinnen? Die Wissenschaft hat hierbei eine Sonderstellung: denn sie führt zwingend zu mehr Erkenntnis (das ist ihre grösste Stärke), kann aber nur auf eine eingeschränkte Art und Weise zu Erkenntnis führen – über die Analyse. Und so kreativ Wissenschaftler auch immer wieder sein müssen, um sich neue Wege der Analyse einfallen zu lassen – neue Methodik zu entwickeln – kein Wissenschaftler darf während des Analysierens kreieren, Neues schaffen. Das einzige, was ein Wissenschaftler dann erschafft, ist ein Werk, nämlich die Dokumentation der Analyse, der dazu verwendeten Methodik, der genauen Abläufe der Untersuchungen und die Ergebnisdokumentation.

Ohne Ergebnisoffenheit keine Wissenschaft

Es gibt jedoch nicht nur Spielregeln für die Wissenschaften, sondern auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selber. Analyse erfordert unbedingt Objektivität. Die persönliche Haltung von Wissenschaftlern soll möglichst die Untersuchungsergebnisse nicht beeinflussen. Deshalb spricht man auch von der notwendigen “wissenschaftlichen Distanz” zum Untersuchungsobjekt. Das ist so, weil für Wissenschaft notwendigerweise Ergebnisoffenheit gefordert ist – Wissenschaftler dürfen auf keinen Fall Ergebnisse vorweg nehmen, sondern müssen mit allen Ergebnissen gleichermassen zurecht kommen, wie sie eben aus den Untersuchungen resultieren – auch und gerade, wenn sie eigentlich nicht in den Kram passen. Denn das Ziel aller Analyse (und damit aller Wissenschaft) ist es, die Dinge so wahrzunehmen, wie sie sind – das bedeutet, man strebt an, täuschende Erscheinungen zu erkennen, einschliesslich Selbsttäuschung.

Gibt es nun einen Gott oder etwa nicht?

Anhand dieser Frage kann man sehr gut zeigen, wie Naturwissenschaft funktioniert. Denn diese Frage lässt sich naturwissenschaftlich untersuchen. Die Naturwissenschaften nennt man auch gerne empirische Wissenschaften – sie untersuchen das, was messbar ist. Naturwissenschaften untersuchen nicht alles, was man erfahren kann – sondern einen Teilbereich davon. Und zwar ist es der Teilbereich, der objektivierbar ist. “Wie geht es Dir heute” ist z.B. keine naturwissenschaftliche Fragestellung. Streng genommen weiss nur derjenige, der die Frage gestellt bekommt, was die wahre Antwort darauf ist. Jeder kennt das Ritual, mit “gut, und Dir” zu antworten, auch wenn es einem überhaupt nicht gut geht. Ob man sich jedoch gut fühlt oder nicht, ist eben rein subjektiv. Die Frage lässt sich nicht objektivieren, und somit ist sie keine naturwissenschaftliche Fragestellung – obwohl Gefühle und Stimmungen durchaus zur Erfahrung eines Menschen dazu gehören. Denn objektiviert hiesse diese Frage: “Geht es den Menschen heute gut?” Diese Frage wäre jedoch für jeden Menschen anders zu beantworten, und nur jeweils dieser Mensch wüsste, ob die Antwort auch stimmt oder nicht. Die Frage “gibt es einen Gott” lässt sich dagegen objektivieren - entweder gibt's halt einen, oder auch nicht. Wenn es einen gibt, dann ist das nicht für jeden Menschen unterschiedlich, sondern für alle gleich. Und genauso ist es auch, wenn es keinen gibt. Nur: was ist die Antwort auf diese Frage?

Naturwissenschaftlich geht man in etwa wie folgt vor: man stellt die These auf, dass es einen Gott gibt. Dann untersucht man, ob man ihn nachweisen kann. Und zwar objektiv, denn so ist die “Erfahrung” (wörtlich übersetzt für “Empirie”) gemeint - dass man das Untersuchungsobjekt messen kann. Das ist niemandem jedoch je gelungen, Gott zu messen. Und was sich nicht nachweisen lässt, das lässt ein Naturwissenschaftler dann zukünftig weg. Das ist der Trick mit Ockhams Rasiermesser: wähle unter den Theorien (und philosophisch: unter den Welten) diejenige Theorie (Welt) aus, die mit den wenigsten und schwächsten Annahmen auskommt. Dass es einen Gott gibt, und dazu einen so exotischen wie einen allmächtigen Schöpfergott, ist eine starke Annahme. Könnte man ihn nachweisen, so wäre er Physik geworden, und alle Naturwissenschaftler mit einem Schlag Theisten. Dazu müsste sich ein solcher Gott nur in einem wiederholbaren Experiment nachweisen lassen, und schon würde das unweigerlich passieren. Solch ein Experiment kann bisher jedoch niemand aufzeigen. Und dann schneidet Ockhams Rasiermesser zu: was sich nicht nachweisen lässt, kommt in naturwissenschaftlichen Modellen (und Welten) nicht vor. Warum dieses Prinzip so wichtig ist, seht ihr, wenn Ihr mal das Gegenteil versucht: was, wenn man in naturwissenschaftliche Modelle all das hinein projizieren würde, was nicht nachzuweisen ist? Die Naturwissenschaft wäre voller Einhörner, Zauberer und Märchenprinzen ;-) Ohne Ockhams Rasiermesser gibt es keine Naturwissenschaft – und übrigens auch keine andere Wissenschaft, das ist nämlich eine grundsätzliche wissenschaftstheoretische Spielregel, dass jeder Wissenschaftler immer gehalten ist, Ockhams Rasiermesser anzuwenden. Jedoch hat man es in den Kulturwissenschaften damit nicht so leicht wie in der Naturwissenschaft.

Interesse, Absicht, Handeln, Sprechen

Durch ihre Beschränkung auf das Objektivierbare ist die Naturwissenschaft quasi fein raus. Alles, was subjektiv ist, ist nicht ihre Aufgabe. Wenn man den Menschen selbst jedoch verstehen will, so geht das nicht, indem man die Sichtweise auf die Humanbiologie beschränkt. Menschen zeichnen sich ganz wesentlich dadurch aus, dass sie Interessen hegen, Absichten verfolgen, dass sie beizeiten Handeln, und dass sie sprechen – eine besondere Form der Handlung, auch Sprechhandlung genannt. Mit Handlung beeinflusst ein Mensch nämlich seine Umwelt absichtlich, und mit Sprechhandlungen beeinflusst er entsprechend seine Mitmenschen absichtlich.

Das Subjektive in wissenschaftlicher Analyse

”Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten” lässt sich kulturwissenschaftlich sehr gut untersuchen. Naturwissenschaftlich ist hier jedoch nichts zu machen - die Aussage ist subjektiv, auch wenn das manche Lügendetektor-Esoteriker nicht erkennen wollen. Um kulturwissenschaftlich einen solchen Sachverhalt zu untersuchen, bemüht man die Deutung. Darunter versteht man, dass man Thesen (und letztlich Theorien) aufstellt über die Interessen und Absichten des (Sprech-)Handelnden. Wenn im Beispiel also Walter Ulbricht diesen Satz sagt, so untersucht man geschichtswissenschaftlich, was denn Gründe für ihn sein könnten, gerade diesen Satz in dieser Situation zu sagen. Dazu analysiert man auch seine Interessen. Daraus folgert man, welche Absichten er verfolgen könnte. Und davon wiederum nimmt man die Absichten, zu denen seine Sprechhandlung passt, heraus. Eine gute kulturwissenschaftliche Theorie zeichnet sich dadurch aus, dass sie konsistent ist und erklärt, was tatsächlich passiert ist – einschliesslich dessen, was objektiv festgestellt werden kann. Und von den Theorien, die das tun, nimmt man wiederum diejenige mit den wenigsten Annahmen. Ockhams Rasiermesser kennt Ihr ja schon. Im Beispiel kommt dann raus, dass Ulbricht geflunkert haben muss, und den Satz wohl im Wesentlichen in der Absicht gesagt hat, Zeit zu gewinnen. Das “deckt sich” auch “mit den Quellen”, wie die Historiker sagen. Streng genommen weiss man das aber nicht sicher. Aber es ist die plausibelste aller Erklärungen, da es die einfachste ist, die zu allen Quellen passt.

Was Blume nun falsch macht

Blume macht wissenschaftstheoretisch gleich eine ganze Reihe von Fehlern; ich versuche sie mal, einzeln zu beleuchten. Stellenweise bauen seine Fehler auch in Form von Folgefehlern aufeinander auf.

  1. Religion ist Kultur. Sagt jemand, dass er an Gott glaubt, so ist das subjektiv. Blume versucht jedoch, dieses Thema mit naturwissenschaftlicher Methodik zu behandeln. Er begeht also einen Methodenfehler.

  2. Blume geht davon aus, dass Religion vererbt wird. Das könnte der Fall sein, wenn sie Natur wäre. Da sie jedoch Kultur ist, wird sie stattdessen tradiert – und kann vom einzelnen Individuum auch gewechselt oder abgelegt werden.

  3. Blume bringt Fachbegriffe der Biologie für Kultur ins Spiel. Er sagt ja wörtlich, Atheisten würden aussterben oder “verebben”. Tatsächlich ist “Atheist” ein kulturwissenschaftlicher Begriff, “Vererbung” jedoch einer aus der Biologie. Und Blume begeht einen Methodenfehler, wenn er Begriffe aus unterschiedlichen Teilwissenschaften und Modellen munter durcheinander mischt.

  4. Blume argumentiert mit unzureichender Datenbasis. Denn Atheismus bei einer grösseren Zahl Personen ist ein Phänomen, das historisch nicht nachzuweisen ist. Es ist früher nie vorgekommen, und eine Besonderheit, die erst seit kurzem auftritt. Entsprechend sind Blumes Schlüsse schon deshalb nicht zu halten, weil er viel zu wenig Daten hat. Ihm mangelt es an wissenschaftlicher Vorsicht.

  5. Blume ignoriert Ockhams Rasiermesser, sogar die ganze Zeit. Blume wählt seine Thesen und Theorien offensichtlich nicht danach aus, sondern was gut für die Religion ist, wird auch vorausgesetzt.

  6. Das tut er, weil ihm die wissenschaftliche Distanz zum Untersuchungsobjekt fehlt. Als erklärtermassen religiöser Mensch hat er als Religionswissenschaftler auf jeden Fall ein grosses Problem, eine Art Handicap. Spreche ich ihn darauf an, wie er damit umgehen will, bestreitet er, dass das überhaupt ein Problem sein soll. Das bedeutet jedoch, dass er nicht einmal die Grundlagen wissenschaftlicher Arbeit verstanden hat, von denen Objektivität und wissenschaftliche Distanz eine der wichtigsten überhaupt sind.

Will man nämlich argumentieren, ob etwas “ausstirbt” oder “verebbt”, so muss man diese Termini auch mit Begriffen zusammen verwenden, für die sie definiert sind: in der Biologie spricht man hier von einer Population oder einer Art. Deshalb können Atheisten nicht aussterben: sie sind weder eine Population noch eine Art. Sondern in menschlichen (die Art) Populationen (sic!) beobachtet man auch Menschen, die sagen, dass sie Atheisten sind. Und wenn man ihre Interessen und Absichten betrachtet, weshalb sie das in der jeweiligen Befragungssituation sagen, so muss man annehmen, dass viele hier die Wahrheit sagen, und tatsächlich Atheisten sind. Weil sie jedoch Menschen sind, können sie eine solche Haltung auch wieder ändern – oder eben beibehalten. Und hätte man genügend Datenbasis, so wäre eine interessante empirische Fragestellung, ob menschliche Populationen, die sehr viele Atheisten beinhalten, wirklich immer aussterben bzw. “verebben” – oder ob es auch welche gibt, die das nicht tun. Vielleicht kann man diese Frage in ein paar hundert Jahren empirisch untersuchen. Michael Blumes Thesen bleiben aber auch dann sicher falsch – nicht weil sie dann vielleicht widerlegt werden, sondern weil sie sinnlos sind. Sie sind keine wissenschaftlichen Thesen, sondern Sprachbrei, der durcheinander bringt, was methodisch strikt getrennt werden muss, will man wissenschaftlich arbeiten. Da beisst die Maus keinen Faden ab, und sogar Beten wird hier sicher nichts nützen.

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