Umgekehrter Totalitarismus
Der US-Politikwissenschaftler Sheldon Wolin zeigte auf, dass nicht alles, was sich Demokratie nennt, auch tatsächlich eine ist. Exklusivauszug aus „Wie ich meine Uni verlor“.
„Totalitarismus“ — da denkt man zuerst an martialisch auftretende Polizei, Führerkult, Umerziehungslager. Es stimmt, dass diese Dinge in der Vergangenheit für Diktaturen kennzeichnend waren. Das bedeutet aber nicht im Umkehrschluss, dass Gesellschaften, in denen diese Faktoren fehlen, nicht auch totalitär sein können. Es genügt auch, dass sich die Bürger eines Landes einem Prinzip „total“ unterordnen müssen, etwa dem Zwang zu arbeiten und sich an Auftraggeber anzupassen, die anderenfalls die Macht hätten, uns unserer Existenzgrundlage zu berauben. Ein enges Zeitregime, ein Netz von „Sachzwängen“, in denen wir gefangen sind, bedrängende Geldnot, die unsere Gedanken terrorisiert, ein Getrieben-Sein von der permanenten Furcht vor dem Absturz — diese Faktoren prägen das Lebensgefühl in diesem „Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“. Sheldon Wolin hat dafür den Begriff „Umgekehrter Totalitarismus“ geprägt. In seinem neuen Buch erklärt Michael Meyen den Begriff und überträgt ihn auf heutige politische Verhältnisse.