Pflege. Die unsichtbar Berührten
Jedes Semester, wenn ich mit meinen Studierenden das Thema Medizingeschichte des Mittelalters beginne, steige ich mit einer ganz einfach scheinenden Frage ein: „Wann haben Sie zuletzt einen Menschen auf der Straße gesehen, von dem Sie annahmen, dass er wirklich krank sei?“ Die Antwort darauf ist bislang nach einigen Minuten des Schweigens immer dieselbe und lautet: „Noch nie.“ Alter und Krankheit spielen sich zumeist außerhalb der visuellen Wahrnehmung ab. Sie sind verborgen, outgesourced, versteckt hinter den Mauern von Kliniken, Heimen, Residenzen oder den Gardinen der Wohnung der anderen. Krankheit ist etwas sehr Intimes. So intim, dass selbst die moderne Presse noch immer angegriffen wird, wenn sie Bilder von prominenten Kranken zeigen will, weil das als der maximale und unethische Übergriff gewertet wird. Obwohl es auch Zeiten gab, in der Krankheit sichtbar war, spielte sich Krankheit im Wesentlichen immer hinter Mauern ab. In der Antike waren es die Mauern der Privathäuser und der Heiltempel, im Mittelalter dann auch die Spitäler und Klöster, die Leprösenhäuser und später dann Krankenhäuser, Psychiatrien und Altenheime. Die Kranken hinter diesen Mauern vermuten wir. Wir können sie imaginieren in ihrem Leid, wir befassen uns gesellschaftlich mit ihren Themen, wir verhandeln Inklusion, Ableismus, Gerontologie und arbeiten uns ab an wordings vom „Menschen mit Demenz“ und um den Unterschied von „Essen anreichen“ statt „Füttern“.
Den Artikel gibt's hier. Siehe dazu auch: Altenpflege: Die Kosten des Profits.