“Wie stabil sind Demokratien?”
Auch bevor ein Virus die Welt lahmlegte, wurden freiheitliche Grundrechte eingeschränkt oder abgeschafft. Kommt das Ende des «demokratischen Zeitalters»? Demokratie-Check, Teil 8.
Den Artikel gibt's hier. Leider treffen die Autoren Sarah Engler und Daniel Kübler mit ihrer Analyse nicht ins Schwarze. Wenn Rainer Hank in der FAZ schreibt: “Demokratie ist überbewertet”, dann ist die Demokratie von ganz anderer Seite in Gefahr.
Tatsächlich ist die Antidemokratie-Bewegung in den demokratischen Kernstaaten in Nordamerika und Europa im Artikel gar nicht aufgeführt. Die Qualität einer Demokratie besteht nicht darin, dass gemacht wird, was die Mehrheit will. Das ist auch bei einer Diktatur der Fall (wenn man den Fall des Despotismus mal ausnimmt). Qualität hat eine Demokratie, wenn sie den Minderheitenschutz gut hinbekommt. Letztendlich bedeutet Demokratie jedoch “Volksherrschaft”. Und entsprechend muss neben dem Minderheitenschutz immer angeschaut werden, ob der Wille des Volkes zwar in seinen Schwankungen abgebremst wird durch den demokratischen Prozess, aber immerhin schliesslich auch umgesetzt.
Antidemokratische Strömungen gibt es in den Kernstaaten drei:
Der War on Terror. Bei seinen Massnahmen geht es im Wesentlichen um den Abbau der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat einerseits, und um die grenzenlose und holistische Überwachung des gesamten Lebens einer jeden Person im Staat andererseits. Ziel dabei ist es, dass der Staat entscheidet, ob Grundrechte oder gar Menschenrechte aufgehoben werden. Sie gelten nicht mehr universell, sondern werden für Wohlverhalten und Konformität gewährt. Rechtskonstruktionen wie die des “Gefährders” helfen dabei, den Anschein einer rechtsstaatlichen Situation aufrecht zu erhalten.
Der marktradikale Neoliberalismus. Der erwähnte FAZ-Redakteur fällt in diese Kategorie. Im Marktradikalismus wird die Demokratie entweder offen abgelehnt, oder sie wird als Fassade aufrecht erhalten. Die tatsächliche Macht wird jedoch den Konzernen sowie den reichen Familien übertragen, denen die Konzerne im Wesentlichen gehören (in der Sprache des Neoliberalismus “Investoren” oder “die Märkte” genannt). Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas nennt das treffend die Refeudalisierung der Gesellschaft – die übrigens als notwendige Voraussetzung die Inszenierung von Öffentlichkeit enthält. Man kann sie also auch am Unterschied zwischen veröffentlichter Meinung und öffentlicher Meinung erkennen.
Der Überwachungskapitalismus. Mit Google und Facebook finden der War on Terror sowie die Refeudalisierung der Gesellschaft zusammen, und sie erhalten ein Geschäftsmodell sowie mit dem Neuro-“Liberalismus” eine steuernde Komponente, die im Behaviourismus fusst. Weiche Zensur vom schlechten Rating unerwünschter Inhalte bis hin zum Shadowbanning verschieben und begrenzen die öffentliche Wahrnehmung auf erwünschte Bereiche. Ein Diskurs über Strittiges oder schlicht auch nur Unerwünschtes wird verhindert, indem einerseits mit Filterblasen Extrempositionen gefördert werden, andererseits dann aber auch der Meinungskorridor minimal verengt, der für den Mainstream zulässig ist. Nach dem Motto «Die schlechten ins Kröpfchen, die guten ins Töpfchen» wird schliesslich erwünschte Meinung zu erlaubter Meinung – Steuerbarkeit der Gesellschaft (auch “Regierbarkeit” genannt) und Diskurs schliessen sich ja wechselseitig aus. Alles, was nicht dem Narrativ der Macht entspricht, ist dann “Fake News” oder “Verschwörungstheorie”. Die definitorische Macht, die Deutungshoheit, was als wahr zu gelten hat, wird nicht wie bei Orwell einer staatlichen Institution übertragen, dem “Ministerium für Wahrheit”, sondern US-Konzernen, die wie Facebook in der dortigen Intelligence Community verankert sind. Operation Mockingbird war gestern.
Demokratie kann ohne Meinungsfreiheit, ohne Informationsfreiheit, ohne Privatheit nicht bestehen. Diese drei Menschenrechte und ihre gelebte Wirklichkeit sind notwendig, damit es überhaupt Citoyens geben kann. Frei ist der Bürger dazu im Kapitalismus nur, wenn er ein Auskommen hat, was ihm genügend Freizeit lässt. Diese Menschenrechte und Freiheiten sind durch die oben genannten antidemokratischen Strömungen stark unter Beschuss geraten. Wer die Demokratie erhalten oder wiederbeleben möchte, muss sich ihnen deshalb entgegen stellen.