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Das Verhalten von “AfD”-Fans in freier WildbahnGrundsatzfragen sind keine Frage

Auch Leute bei Alternativmedien kriegen hin und wieder keine vernünftige Beziehung zu Russland zustande

Soll man nun für Russland sein oder gegen Russland? Das scheinen sich viele zu fragen. In den Qualitätsmedien, die sich für gewöhnlich stramm auf NATO-Linie sehen, ist diese Frage bereits beantwortet: es geht selbstverständlich immer gegen Russland, egal was Russen machen (ausser es handelt sich um NATO-Marionetten in Russland a la Nawalny, von denen man sich einen Regime-Change erhofft). Manche in den Alternativmedien scheinen sich nun zur Aufgabe gemacht zu haben, dem dadurch entgegen zu wirken, dass sie immer für Russland sein wollen – und dabei Russland und die Russen mit der russischen Regierung verwechseln. Sie stellen dann der Verteufelung des russischen Präsidenten ihre Werbung für diese Person entgegen, und behandeln Staatsmedien aus Russland, als seien es keine, sondern unabhängige Journalisten.

Aber so funktioniert Gegenöffentlichkeit nicht. Sie kann so nicht funktionieren. Denn Gegenöffentlichkeit heisst nicht, die Propaganda der anderen zu verbreiten.

Gegenöffentlichkeit richtet sich gerade nicht gegen Journalismus. Sondern sie richtet sich gegen die Absenz desselben. Wenn Medien wie die deutsche Tagesschau völlig den Bezug zur Aufklärung aufgeben, und sich zu einem Propaganda-Sprachrohr des US State Departments machen lassen, dann ist es keine Gegenöffentlichkeit, zum Sprachrohr des russischen Aussenministeriums zu werden. Gegenöffentlichkeit ist, wenn man Propaganda entlarvt und mithilft, Journalisten zu unterstützen, die ihre Arbeit ernst nehmen. Denn Gegenöffentlichkeit existiert nur im Sinne der Aufklärung.

Es geht bei der Aufklärung immer um kritisches Denken. Dabei ist positive Kritik genauso notwendig und erwünscht wie negative. Nachdem klevere Yankees den Säufer Jelzin um den Finger gewickelt hatten, damit derselbe ihnen die gesamte Rohstoffausbeute Russlands für Jahrzehnte in einer Art Schenkung überreichte, war es durchaus eine anerkennenswerte Leistung des damals jungen KGB-Offiziers Wladimir Putin, aus dieser Falle zu entkommen, und Russland wirtschaftlich wie gesellschaftlich wieder auf stabile Beine zu stellen. Ich kann die Yankees wiederum gut verstehen, weshalb sie das nicht so positiv sehen können, wie heute noch viele Russen.

Nur ist es eben derselbe russische Präsident, der nicht nur die Verfassung der jungen russischen Föderation verbiegt, um ewig an der Macht zu bleiben, sondern es handelt sich bei Präsident Putin auch um den Politiker, der federführend dafür gesorgt hat, dass Russland heute noch keine liberale Gesellschaft besitzt, und autoritär – das heisst unter Anwendung von Unterdrückung – geführt wird.

Handelt es sich beim russischen Präsidenten also um eine gebildete, sprachgewandte Person mit hoher Intelligenz und – das wird auch oft weggelassen – grossem Charme? Aber sicher. Steht er etwa über der Kritik, weil er immer nur Gutes macht? Schön wär's. Auch Präsident Putin ist ein Machtmensch. Und seinen unzweifelhaften Verdiensten für sein Land stehen gleich eine ganze Reihe von negativen Dingen entgegen, vor allem was seine Dauerausrede angeht, warum immer er Präsident sein soll und alle echte Opposition zu unterdrücken sei.

Eine ganz andere Frage jedoch ist die Bewertung der Russen selber. Aus eigener Erfahrung habe ich hier nur Gutes zu berichten: praktisch alle Russen, die ich bisher kennen gelernt habe, sind extrem freundlich, aufgeschlossen, selbstkritisch und gebildet. Sie sind Nachbarn, wie man sie sich nur wünschen kann. Wie bei anderen Völkern auch (einschliesslich uns Deutschen), haben manche seltsame Komplexe. Beispielsweise kenne ich eine Russin aus Jekaterinenburg, der es extrem wichtig ist, dass sie Europäerin ist und nicht etwa Asiatin (!) – die also der hier in Westasien vorherrschenden Ideologie komplett verfallen ist, wir Westasiaten hätten etwa einen eigenen Kontinent zu bewohnen, statt dass wir nur unser Gebiet Westasiens “Europa” genannt haben, um unserem Stolz zu schmeicheln, wir wären etwa etwas Besseres als andere.

Kurzum, Russland ist ein Nachbarland hier in Europa mit netten Leuten. Das ist schon alles. Die Regierung dort mag für viele Russen durchaus attraktiv erscheinen – sonst würden sie sie ja nicht wählen. Aber sie hat starke Mängel im Minderheitenschutz, und sinnvolle Opposition ist teilweise möglich, teilweise wird sie brutal unterdrückt. Sind die Russen also gut oder böse? Die Antwort ist klar:

Solche naiven Dichotomien eignen sich für einfaches Hollywood-Kino oder für Grimms Märchen. Aber sie eignen sich ganz sicher nicht für kritisches Denken oder die Aufklärung. Und damit sind sie auch völlig ungeeignet für die Gegenöffentlichkeit.

Journalismus geht anders.