Brief einer amerikanischen Ärztin aus Latakia
Lieber Herr Duschner,
ich möchte Ihnen zu Syrien schreiben, und Sie können den Text veröffentlichen.
Ich heiße Lilly Martin, bin eine amerikanische Bürgerin und lebe seit über 25 Jahren in Latakia in Syrien. Seit 40 Jahren bin ich mit einem Syrer verheiratet. Bevor ich nach Syrien auswanderte, arbeitete ich als Ärztin in Kalifornien.
Latakia liegt an der Küste und ist eine Hafenstadt. Aber der Tourismus bildet die wichtigste Einkommensquelle, da es ein Badeort ist. Neben den Stränden gibt es noch zwei bekannte Luftkurorte, die nur eine Stunde Fahrtzeit entfernt sind und wegen ihrer kühlen Bergluft im Sommer wichtige Ziele für Touristen darstellen.
Ich hatte in Syrien niemals religiöse Konflikte erlebt. Dank des säkularen Charakters der syrischen Regierung hatte jedermann vor dem Gesetz die gleichen Rechte, und untereinander verhielten sich die Syrer aller Glaubensrichtungen freundlich, ja herzlich. Ich kann mich an die Angriffe von USA und Nato gegen Jugoslawien erinnern, und ich stellte mir damals die Frage, ob etwas Ähnliches hier passieren könnte.
Dann kam der Angriff der USA auf den Irak. Syrien war davon nicht betroffen, abgesehen davon, dass es 2 Millionen Flüchtlinge aufnahm. 2010 reisten Angelina Jolie und Brad Pitt nach Syrien, um irakische Flüchtlinge in Damaskus zu besuchen. Sie trafen sich mit dem syrischen Präsidenten Assad und seiner Frau, um ihnen für ihre Hilfe für die Flüchtlinge zu danken.
Nicht lange, nachdem ein riesiges Gasfeld vor der Küste Syriens entdeckt wurde, begann der Angriff von USA und Nato in Syrien. Ich dachte, die Krise würde nur kurz andauern, weil ich wusste, dass die Mehrheit der syrischen Bürger die Ideologie eines radikalen Islam nicht unterstützte. Es gab eine kleine Minderheit, die der Ideologie der Muslim-Brüder folgte, aber eine kleine Minderheit kann keine Revolution machen. Diese Leute bauten jedoch nicht auf die Unterstützung der syrischen Bevölkerung, sie hatten die gesamte westliche Welt hinter sich, die USA, Großbritannien, Deutschland, die EU, Frankreich, Kanada und Australien. Als sie Fußtruppen brauchten, riefen sie Al Qaeda aus Europa, Afrika und Asien ins Land. Bald hatte die US-Nato-Kriegsmaschine alle benötigten Truppen und Waffen beisammen.