DIE ERSTICKTE HOFFNUNG – Zu Nadine Labakis (Fast-)Meisterwerk „Capharnaüm“
Ob die libanesische Regisseurin Nadine Labaki weiß, dass der hiesige Verleih dem Originaltitel ihres Films „Capharnaüm“ ein „Stadt der Hoffnung“ angehängt hat? Wie sollte ein Ort der Not und des Chaos, dem schon die Bibel jede Hoffnung auf Erlösung abspricht – hier ein Elends- und Flüchtlings-Viertel irgendwo im Libanon – eine Stadt der Hoffnung sein? In großen Totalen zeigt uns Christopher Aouns Kamera den Ort der Handlung als Flickenteppich-Mosaik, als ein Gewirr von Hüttendächern und verwinkelten Gassen, in dem Menschen unsichtbar werden. Schon in der ersten Szene erleben wir eine Welt, die auf dem Kopf zu stehen scheint: Ein Arzt prüft das Gebiss eines unterernährten, zerschunden aussehenden Jungen, um sein Alter zu klären und damit seine Strafmündigkeit. Denn dieser 12-jährige Zain verbüßt schon eine Haftstrafe wegen einer Messerattacke, als er nun vors Gericht geführt wird – diesmal jedoch nicht als Angeklagter, sondern als Kläger gegen seine eigenen Eltern! Sein Vorwurf: dass sie ihn in die Welt gesetzt haben, ohne ihn ernähren und erziehen zu können.