„Chemnitz ist das punktuelle Brennglas“ – Wilhelm Heitmeyer im Interview
Als Sie letzte Woche die Bilder der Demonstrationen in Chemnitz gesehen haben – haben Sie sich da im Stillen gedacht: „Ich habe es schon immer gesagt“? Schließlich stellen Sie – basierend auf Ihren anerkannten Langzeitstudien – seit den 90er Jahren die nun aufbrechende Problementwicklung dar.
Die Ereignisse von Chemnitz sind ja nicht plötzlich vom Himmel gestürzt. Insofern sind auch manche Äußerungen und Verwunderungen insbesondere von politischen Eliten selbst verwunderlich. Außerdem muss man die Analyse breiter anlegen. In 2001 habe ich einen Aufsatz veröffentlicht mit dem Titel „Autoritärer Kapitalismus, Demokratieentleerung und Rechtspopulismus“. Die These war, dass der globale Kapitalismus immer mehr Kontrollgewinne erzielt, während die nationalstaatliche Politik immer mehr Kontrollverluste erfährt. Daraus entstehen auch soziale Desintegrationserfahrungen bzw. Ängste in Teilen der Bevölkerung mit Gefühlen der individuellen Kontrollverluste über das eigene Leben. Damit geht eine Demokratieentleerung einher, dass Teile der Gesellschaft nicht mehr das Gefühl haben, dass die regierende Politik die sozialen und auch kulturellen Probleme lösen kann. Am Ende habe ich 2001 behauptet, dass ein rabiater Rechtspopulismus der Gewinner sein wird. Die These war wohl nicht völlig falsch.