Das Kerneuropa konstituiert sich im Sahel
Zumindest in der Außendarstellung war der Krieg gegen Libyen 2011 die erste Nato-Intervention, bei der europäische Staaten die Führungsrolle übernommen hatten. Nachdem Frankreich und Großbritannien im November 2010 ein weitreichendes Abkommen zur Verteidigungskooperation beschlossen hatten, das Deutschland außen vor ließ, begannen sie, unterstützt von den USA, am 19. März 2011 mit Luftschlägen gegen die libyschen Truppen. Die NATO stieg erst drei Tage später ein und übernahm das Kommando. Bereits nach weniger als einem Monat wiesen die USA subtil auf ihre zentrale Rolle im Bündnis hin, nachdem Meldungen kursierten, den Briten und Franzosen gingen die Luft-Boden-Raketen aus. Was unter dem Vorwand des Schutzes der Zivilbevölkerung begonnen wurde, entlarvte sich als gnadenloser Luftkampf gegen die regiemetreuen Truppen und ihre Verbündeten. Für die damalige Zeit ungewohnt offen berichtete u.a. die Tagesschau aber auch über französische und britische Spezialkräfte, die nach Libyen gebracht wurden, um die Aufständischen auch am Boden zu unterstützen. Die USA organisierten umfangreiche Waffenlieferungen über den Balkan und die Arabische Halbinsel, Frankreich warf Kisten mit Waffen und Munition „zum Schutz der Zivilbevölkerung“ ab. Darüber hinaus wurden die umfangreichen Waffenlager des Regimes geplündert.
In einer Epoche des allgemein konstatierten Bedeutungsverlustes der US-amerikanischen Führungsrolle realisiert sich das deutsch-französische Kerneuropa somit als Projekt zur Rekolonialisierung Westafrikas. […] Einer der nächsten Schritte dieser Rekolonialisierung Afrikas ist der gemeinsame Gipfel der Europäischen und Afrikanischen Union Ende November 2017 in Abidjan, Côte d’Ivoire, in dessen Vorfeld auch ein EU-Afrika-Wirtschaftsgipfel stattfand. Eine Woche zuvor fand bereits im Europäischen Parlament eine Konferenz „für eine erneuerte Partnerschaft mit Afrika“ statt, zu der hochrangige Vertreter der afrikanischen Politik angekündigt waren und insbesondere über verbesserte Kapazitäten zur Terrorismusbekämpfung diskutiert werden sollte. Die Stimmung war jedoch deutlich frostiger als erwartet. Grund waren wohl die zuvor bekanntgewordenen Bilder über Sklavenmärkte in Libyen, die bei afrikanischen Politiker_innen Empörung und eine erneute Kritik am NATO-Krieg gegen Libyen 2011 hervorriefen. Der EU-Außenbeauftragten Mogherini fehlte es wohl auch an entsprechender Sensibilität, als sie auf Fragen, wie die EU ihre Verantwortung angesichts öffentlicher Sklavenauktionen versteht und was sie zu tun gedenke, mit den immerselben Floskeln antwortete. Man habe die „libyschen Authoritäten aufgefordert, die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen“. Der Vorsitzende der Afrikanischen Union reagierte darauf mit der Aussage: „Im Moment gibt es keinen Staat, keine Rechte und kein Gesetz in Libyen.“ Von dieser scharfen Kritik an der EU ist jedoch in den Pressemeldungen des Europäischen Auswärtigen Dienstes und des Parlamentes nichts zu lesen.