Fakten, Ordnungsinstanzen und die Deutungshoheit
Fakten sollte man benennen und nicht diskutieren, Meinungen schon. Das Verwenden von Sprache ist Sprechhandeln.
Dass es beispielsweise Asylbewerber gibt, die Straftaten begehen, ist ein Faktum. Weder ist es hilfreich, dieses Faktum herunterzuspielen, noch es zu überdehnen. Bei einer Diskussion um die Entwicklung der Kriminalität in Deutschland unter Einbeziehen der Tatsache, dass es nun sehr viele Flüchtlinge und Asylbewerber gibt, sollte man ein solches Faktum also ruhig benennen. Die journalistische Arbeit ist damit jedoch nicht getan.
Als nächster Schritt ist es notwendig, diese Tatsache geeignet zu interpretieren und einzuordnen. Haben Asylbewerber einen wesentlichen Einfluss auf die Kriminalitätsrate in Deutschland? Oder ist ihr Einfluss zwar gegeben, jedoch unerheblich? Um solche Fragen zu beantworten, hat ein Journalist prinzipiell zwei Möglichkeiten: er kann sich entweder selbst über die Verhältnisse kundig machen, oder er kann einen glaubwürdigen Experten um eine Einordnung bitten. Auf keinen Fall jedoch sollte ein Journalist vorschnell selbst einordnen, ohne die Fakten geprüft oder mit einem Experten gesprochen zu haben.
Im Schwarmjournalismus folgt der Schwarm jedoch immer automatisch den Aussagen der Leitmedien (zu denen im deutschen Journalismus ausgerechnet auch noch die dafür völlig ungeeignete Bildzeitung zählt). Notwendige eigene journalistische Arbeit wird so dort vorausgesetzt, wo sie erst recht nicht stattfindet. Der Kanon entsteht. Es ist ein Kanon von Dogmen, von Glaubensgrundsätzen. Er steht entsprechend im Gegensatz zur Aufklärung.
Und so versagt Journalismus heute oftmals bereits vor der eigentlichen Deutung von Handlungen der beteiligten Personen. Denn bereits mit den Fakten wird allzu leichtsinnig bis verfälschend umgegangen. Schon hierbei verspielt der Journalismus der Qualitätsmedien die Glaubwürdigkeit, die er für Handlungsdeutungen so dringend benötigen würde.
Und so gibt es den Kanon der veröffentlichten Meinung. Dieser Kanon jedoch verliert immer mehr Anhänger, und Sprechhandeln in seinem Sinne wird immer öfter als heuchlerisch oder lügnerisch gedeutet.
Wo Schatten ist, ist jedoch auch Licht. Denn der zentral gesteuerten veröffentlichten Meinung steht heute das Netz als Sammelsurium unterschiedlichster Quellen gegenüber. Und jetzt, wo die Informationsversorgung endlich im Wortsinne gleichgeschaltet werden kann über die automatisch in die Redaktionssysteme einfliessenden Agenturmeldungen, eröffnet das Netz eine nie dagewesene Vielfalt. Wer sie zu nutzen weiss, wird im Internetzeitaler besser informiert sein, als das je zuvor möglich war.
Kein Wunder, dass die grossen Netzanbieter wie Google, Twitter oder Facebook nun zur Zensur angehalten werden. Sie sind nun ein Machtfaktor geworden. Ob das Netz hier auf Dauer positiv oder aber vielmehr negativ wirken wird, hängt ganz wesentlich davon ab, ob sich die Diskussion im Netz auf unzensierbare, verteilte Plattformen verlagern wird, oder ob Google und Facebook den Sack der zentral gesteuerten Filterblase über ihrem Publikum zumachen können.