Vorsicht vor der Bewertung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Koalitionsfreiheit
Das Gesetz ist eine Einladung zum Verfassungsbruch. Es gibt nämlich immer einen grossen Unterschied zwischen recht haben und Recht bekommen.
Es besteht die Situation, dass viele grosse Gewerkschaften vollständig korrumpiert wurden, und jetzt für die Interessen der Arbeitgeber tätig sind – gegen die Interessen ihres eigenen Klientels. Wer das nicht glaubt, soll mal den katastrophalen Sozialabbau in Deutschland mit der “Agenda 2010” einschliesslich der Förderung von Altersarmut gegen die Tätigkeiten so mancher grosser Gewerkschaft halten. Viele grosse Gewerkschaften haben hier mitgewirkt, und verraten bis heute ihr Klientel. Dabei sind die Fick-Reisen von “Reform”-Namensgeber und VW-Personalchef Peter Hartz mit dem damaligen Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert und dessen Team nur die Spitze des Eisbergs: gefickt wurden hier eben nicht nur die Huren in Brasilien, sondern vor allem auch die Kollegen bei VW. Grosse Gewerkschaften haben genügend Bonzen aufzuweisen, die jegliche Loyalität für ihr Klientel vermissen lassen.
Dazu kommt noch der Betrug mit sogenannten “christlichen” Gewerkschaften. Das sind oft reine Schein-Gewerkschaften, nur gebildet, um wirkliche gewerkschaftliche Vertretung zu unterlaufen. Gleichzeitig werden in vielen Betrieben mit dem sogenannten “Union Busting” regelrechte Hetzjagden auf korruptions-unwillige Gewerkschafter und Betriebsräte veranstaltet. Es gibt längst professionelle Unternehmen, die Union-Busting als Dienstleistung anbieten.
Die einzigen Gewerkschaften, die noch gegenhalten sind neben der anarchosyndikalistischen Bewegung in der FAU noch Sparten-Gewerkschaften wie z.B. die Gewerkschaft der Lokführer (GDL). Beobachtet man die Qualitätsmedien, so sieht man deutlich, wie jeglicher Versuch, einen sinnvollen Lohnabschluss zu verhandeln, von der gleichgeschalteten Propaganda gnadenlos unter Feuer genommen wird. Was musste man nicht alles über die GDL lesen? Dabei hat sich praktisch keiner der Qualitätsjournalisten um die Darstellung der Gegenseite, nämlich die der GDL selbst bemüht. Über ihre – doch sehr überzeugende und nachvollziehbare – Begründung, weshalb sie ausser einem Streik keine Möglichkeit mehr sieht, wurde breitflächig erst gar nicht berichtet. Im Gegenteil, “dumm”, “gierig”, “Schikane”, es wurde nichts ausgelassen in der Gegen-Propaganda, bis hin zur persönlichen Diffamierung von Gewerkschaftschef Weselsky.
In dieser Situation schaffen nun die neoliberalen Ideologen des Seeheimer Kreises und der mit ihnen parteiübergreifend atlantisch Verbündeten ihr Anti-Gewerkschaftsgesetz, zum einzigen Zwecke, die von der Verfassung diktierte Koalitionsfreiheit zu unterlaufen. Jene, das Recht sich nach eigenem Wunsch und gusto gewerkschaftlich zu organisieren, wird nun auf dieselbe Art und Weise angegriffen wie auch beispielsweise das in Artikel 5 garantierte Grundrecht auf Meinungsfreiheit oder das in Artikel 10 garantierte Fernmeldegeheimnis. Wie es mit diesen ausging, ist bekannt: ein Fernmeldegeheimnis existiert im Zeitalter des “War on Terror” nicht, es ist ein reiner Papiertiger. Und die Meinungsfreiheit soll nun mit der Fake-News-Debatte so lange unter Beschuss genommen werden, bis eine Zensur endlich effektiv stattfindet. Genau so geht es nun der Koalitionsfreiheit.
Das Spiel ist also eröffnet. Mit einer Maximalforderung, die einer sofortigen Abschaffung der Koalitionsfreiheit nahekommt, hat Arbeitsministerin Nahles erneut ihre Tätigkeit als reine Arbeitgebervertreterin aufgenommen. Die Ministerin, die ausgerechnet der ehemaligen sozialdemokratischen SPD angehört, wusste natürlich genau, wie verfassungswidrig ihr Gesetz ist. Sie hat sicher entsprechende interne Rechtsgutachten der Bertelsmann-Stiftung vorliegen, als deren ausführendes Organ sie hier agiert.
Das Bundesverfassungsgericht wiederum befindet sich in einer schwierigen Lage: kippt es das Gesetz, so nimmt es schon dadurch weiter am Abbau der Legitimation der deutschen Fast-noch-Demokratie teil. Es hat sich also nur minderheitlich und nicht mehrheitlich für die Ablehnung entscheiden können, und fordert Nachbesserungen, die allesamt dem Geist des Gesetzes zuwiderlaufen – es bittet die Parteien nachdrücklich, doch die Verfassung einzuhalten.
Die Bundesregierung wird nun voraussichtlich nachbessern, und ein im Geist immer noch klar verfassungswidriges, aber weniger offensichtlich formuliertes Gesetz nachschieben. Und das wird sie solange tun, bis die Rechtslage im Wesen den Verfassungsgrundsatz vollständig unterläuft, aber dass es so aussieht, als bestünde die Koalitionsfreiheit weiter. Dieselbe wird also zukünftig in der Praxis genauso nur noch eine reine Luftnummer sein wie das Fernmeldegeheimnis. Das Verfahren verläuft parallel zu dem, das die Regierung zur Abschaffung der Meinungsfreiheit begonnen hat.
Solange die Deutschen neoliberale Parteien wählen, wird das so bleiben. Denn die neoliberale Ideologie der “Marktkonformität” lehnt Demokratie diametral ab. Ohne Demokraten als staatstragende und Funktions-Eliten wird jedoch auch ein Kernstück einer jeden Demokratie wie die Koalitionsfreiheit schon mittelfristig keinen Bestand mehr haben.