Auf Leserwunsch nochmal: Warum die marktradikale Spielart des Neoliberalismus eine rechtsextreme Ideologie ist
Will man politische Ideologie einordnen, so gibt es dazu verschiedene Methoden. Der Klassiker ist der Politische Kompass. In jedem Falle halte ich jedoch die Rechts-Links-Achse für eine der Achsen, anhand derer man das politische Feld sinnvoll aufteilt.
Diese Achse entstammt ursprünglich der Sitzordnung der französischen Nationalversammlung. Die heute “links” genannten Parteien sassen vom Blickwinkel des Präsidenten gesehen auf der linken Seite, die anderen auf der rechten. Diese Sitzordnung wurde von anderen Parlamenten übernommen, unter anderem auch vom Deutschen Bundestag.
Wie kann man jedoch objektiv entscheiden, ob eine Partei “links” oder “rechts” ist, und wie weit “links” oder “rechts” dieselbe steht? Das hat mit der Politischen Ideologie zu tun, die eine solche Partei pflegt. Die Einteilung wird also anhand ideologischer Kriterien vorgenommen. Als “links” werden jedoch so unterschiedliche Ideologien wie Kommunismus, Sozialismus, (Links-) Anarchismus sowie der linke Libertarismus bezeichnet. Was also haben alle diese Ideologien gemeinsam, was grenzt sie von nicht-linken (d.h. rechten) Ideologien ab?
Die französische Revolution liefert hierfür die ideologische Grundlage. Die Ideale, die hier verfolgt wurden, werden im Wahlspruch ausgedrückt: Liberté, égalité, fraternité. Diese Ideale fallen nun jedoch auf keinen Fall zusammen. Im Gegenteil, sie bilden ein Spannungsfeld, innerhalb dessen sich die unterschiedlichen Ideologien, die sich auf die französische Revolution berufen, positionieren. Die Positionierung auf der Achse Links-Rechts kann man nun sehr treffend über die Positionierung zur Égalité hin entscheiden.
Denn das haben alle linken Ideologien gemeinsam: sie enthalten eine sehr stark ausgeprägte Interpretation und Gewichtung der Gleichheit aller Menschen. Damit ist nun nicht gemeint, dass Menschen etwa keine Individuen seien. Sondern es geht darum, dass alle Menschen gleichwertig sein sollen – eine Idee, die auch den Menschenrechten zugrunde liegt.
Links sind also alle Ideologien, die die Gleichheit hochhalten. Rechts sind welche, die die Gleichheit geringer schätzen als andere Werte. Linksextrem sind Ideologien, die die Gleichheit über alles stellen, und auch bereit sind, eines der anderen Ideale oder gleich beide aufzugeben. Rechtsextrem sind die Ideologien, die die Gleichheit ablehnen bis zu dem Punkt, dass sie das humanistische Menschenbild ablehnen. Man kann die Links-Rechts-Achse über die Égalité definieren – ich mache das auch regelmässig in Diskussionen, schliesslich funktioniert diese Definition sehr gut.
Wie ist es nun um die marktradikale Spielart des Neoliberalismus' bestellt? Wenden wir uns zunächst anderen rechtsextremen Ideologien zu. Inwiefern wird hier die Gleichheit abgelehnt?
Beim Nationalsozialismus wird deutlich: der Rassegedanken läuft jeder Gleichheit zuwider. Die Einteilung in “Arier”, “Untermenschen” und Juden zeigt klar, dass in dieser Ideologie keinerlei Gleichheitsgedanke aller Menschen vorherrscht. Doch wie sieht es bei anderen rechtsextremen Ideologien aus? Beispielsweise beim Monarchismus gibt es Majestäten, Blaublütige und “Gewöhnliche” (und ggf. “Unfreie”). Im indischen Kastendenken, ebenfalls eine rechtsextreme Ideologie, sind die Menschen im Wesentlichen nach dem Farbton ihrer Haut angeordnet. Rechtsextreme Ideologie muss jedoch nicht völkisch oder rassistisch sein (obwohl sie es häufig ist). Manche solche Ideologien beziehen sich nicht auf (eingebildete oder wirkliche) natürliche Merkmale von Menschen, sondern diskriminieren aufgrund von Kultur – der sogenannte Kulturchauvinismus. Ein Klassiker bei “PEGIDA” und “AfD” ist hier der Kulturchauvinismus, der gegenüber dem Islam vorherrscht. Ähnlich ist es auch beim Marktradikalismus.
Es hat wohl niemand besser bisher auf den Punkt bringen können, was im Marktradikalismus die Wertung “Leistungsträger” bedeutet – nämlich Träger(in) finanzieller Leistungskraft – als Henryk M. Broder in seiner Laudatio auf Paris Hilton. Die Leistungsträgerin ist es hier, die das Gegenteil zu den Schmarotzern bildet, die vom Geld anderer Leute in “spätrömischer Dekadenz” (Westerwelle) schwelgen. Oder, um es mit dem damaligen Arbeits- und Sozialminister Franz Müntefering in Abwandlung eines Paulus-Zitates zu sagen, “wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen”. Dabei ist das Verbringen möglichst vieler Schmarotzer in Niedriglohnstellungen erklärtes Ziel der Politik. So verkündete der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2005: “Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut”. Auch Rainer Hank, seines Zeichens Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, macht aus seiner Ideologie keinen Hehl in seinem Artikel Demokratie ist überbewertet. Es geht ihm – wie dem Ex-EU-Wirtschaftskommissar Karel de Gucht – vorrangig um “Investorenschutz” – also um den Schutz von Leistungsträgern – und nicht um die dem Gleichheitsgedanken entspringende Demokratie. De Gucht möchte als Kompromiss noch wenigstens den Regierungen ein “Recht auf Regulierung” einräumen, was er den Investoreninteressen gleichstellt. Parlamente oder gar Volksabstimmungen kommen im Denken der Marktradikalen nur noch als überkommene Reste eines Apparates vor, der “reformiert” und “weiterentwickelt” werden muss. Das macht auch Angela Merkel deutlich, wenn sie von der “Parlamentarischen Mitbestimmung” (!) spricht, die “so gestaltet” werden soll, dass sie “auch marktkonform ist”. Hört man schliesslich Hardcore-Vertretern dieser Ideologie zu, so werden diese besonders deutlich: wie die Nationalsozialisten auch, so bezeichnen sie die Menschen mit wenig Wert als “Parasiten”. Spätestens hier ist der Schritt zur Entmenschlichung getan, und wie bei allen rechtsextremen Ideologien, so wird auch beim Marktradikalismus bereits innerhalb der Ideologie entmenschlicht – ein Schritt direkt auf das Ermorden von Menschen hin.
Um Missverständnisse zu vermeiden: mit Lebensmitteln zu spekulieren und die Meere vorm Horn von Afrika leer zu fischen, damit hat kein Marktradikaler ein Problem. Vernichtungslager würden die Neoliberalen jedoch nie bauen, schliesslich fehlt hier ein skalierbares Geschäftsmodell. Es reicht allemal zu Konzentrationslagern in Libyen zur Flüchtlingsbekämpfung, einschliesslich Vergewaltigung, Folter und Mord.