Lieber Jürgen…
Das ist doch (nicht) normal!
In seinen Beiträgen unter dem Titel “Von Trump lernen!” versucht unser ScienceBlogger-Kollege Joseph Kuhn, sich mit dem Äußerungen und Aktionen des bald amtierenden US-Präsidenten Donald Trump in ironischer und/oder sarkastischer Weise (wer sich für den Unterschied interessiert, klicke beispielsweise hier) auseinanderzusetzen. Was – durchaus nachvollziehbar – die Kritik nach sich zog, dass er damit einen Beitrag zur Normalisierung von Trump leiste.
Diese Diskussion muss man sicher führen, und sie ist bei Joseph auch gut aufgehoben. Mich beschäftigt seitdem aber die Frage, ob Trumps abstruses, rassistisches, frauen- und fremdenfeindliches sowie generell ignorantes und die Wahrheit verfälschendes Verhalten nicht schon längst normal ist. Ob Trump also nicht so sehr der Agent, als vielmehr das Produkt einer (neuen?) Normalität ist.
So leitet Jürgen Schönstein seinen Artikel zum Thema Trump ein – und greift zu kurz. Hier meine Entgegnung:
Lieber Jürgen,
Deine Verachtung für das, was Trump an Haltung repräsentiert (er ist nun mal ein bildungsferner, chauvinistischer Baulöwe), kann ich nachvollziehen. Ich teile sie. Aber in der Analyse des Phänomens Trump greifst Du viel zu kurz.
Du übersiehst völlig die gegenaufklärerische Refeudalisierung, die mit dem Neoliberalen Projekt seit 20 Jahren verwirklicht wird, und kurz vor ihrem Abschluss steht. Du vergisst die Gleichschaltung der Medien durch Medienkonzentration, Kaufen der Alphajournalisten sowie Prekarisierung fast aller anderer Journalisten auch nur zu erwähnen. Und Du erzählst nichts darüber, dass die jetzige junge Generation die erste seit Ende des zweiten Weltkrieges ist, die wesentlich weniger Vermögen besitzt als die vorherige, und die auch keinerlei Aussichten hat, dass für sie das kapitalistische Heilsversprechen etwa noch gälte. Karriere in Detroit? In Athen? In Mailand? In Madrid? Kannst Du vergessen. Karriere in Berlin? Vielleicht noch in München. Aber sicher nicht mehr so, wie es eine Generation vorher war.
Ich habe es im Nachbarthread schon geschrieben: die USA waren bei Kriegsende der grösste Gläubiger der Welt. Heute ist das Land dermassen ausgeraubt, dass es der grösste Schuldner der Welt ist. Die Differenz, zweimal das Staatsvermögen der USA, ist die Beute. Das “Bankenretten” ist nur die perverseste Form des Kapitalismus, und die einfachste, um seiner Gier im Zugriff aufs öffentliche Vermögen freien Lauf zu lassen.
Viele führende Staatsmänner der USA haben vor dieser Entwicklung gewarnt. Die Warnung Eisenhowers vor dem Militärisch-Industriellen Komplex ist das hervorstechenste Beispiel. Aber auch Jimmy Carters Resignation, wenn er ausdrückt, dass die USA keine Demokratie mehr sind, sondern vielmehr eine Oligarchie, gehört in die lange Reihe der Äusserungen von Politikern, Philosophen, Schriftstellern und vielen weiteren Intellektuellen, die die Katastrophe richtig analysieren, die so menschengemacht ist wie keine andere.
Schliesslich vergisst Du ganz den War on Terror. Dieser Krieg – das erste Mal in der Geschichte der NATO, dass der Bündnisfall ausgerufen wurde – bedrückt, unterdrückt und baut die Gesellschaft zu einer um, gegen die Orwells Dystopie wie ein Kinderspielplatz aussieht, Huxleys Beschreibung wie ein freundlich skizziertes Sittengemälde wirkt, Bradburys Darstellung verharmlosend wirkt, da die Hinterlistigkeit der virtualisierten Bücherverbrennung niemand voraussehen konnte.
Die ubiquitäre und holistische Massenüberwachung in Tateinheit mit den ruchlosen Drohnenmorden, das absichtliche Destabilisieren ganzer Regionen und Überziehen derselben mit Krieg und Mord, schliesslich das Planen des Ewigen Krieges im Hetzen von 1.6 Milliarden Muslimen auf 2.1 Milliarden Christen, all das soll keine massenpsychologische Wirkung entfalten, obwohl es genau darauf abzielt?
Trump ist ironischerweise wirklich das Produkt dieser Entwicklung, wenn Wikileaks offenlegt, dass es die Democrats waren, die sich Trump als Gegner ausgesucht hatten, und ihn gefördert haben, damit er der republikanische Kandidat wird.
Als wäre das noch nötig gewesen.