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Warum der Geist (“Mind”) nicht wie ein Computer funktioniertTürkei und Syrien: Verdammt nahe dran am Krieg

Der politische Traum einer Unpolitischen – Ein interessantes Interview, vor allem deswegen, was hier nicht passiert ist

Die TAZ interviewt “Ruslana”. Warum ich das interessant finde? Nun, schon deswegen, weil der Interviewer die Interviewte auf keinen ihrer Widersprüche anspricht. Beispiele:

Ich sehe mich als Sprachrohr der friedlichen Euro-Maidan-Bewegung. […] Ich bin ganz und gar unpolitisch […]

Wie kann man Sprachrohr einer politischen Bewegung sein, und dabei “ganz und gar unpolitisch”? Vermutlich so:

Ich habe im EU-Parlament in Straßburg und Brüssel gesprochen, war in Berlin, Warschau und Stockholm und bei der OSZE in Wien, habe mich in Washington mit Vizepräsident Joe Biden getroffen, und First Lady Michelle Obama ehrte mich mit dem Woman of Courage Award, um nur einige Stationen der letzten Wochen zu nennen. Überall habe ich Pressekonferenzen gegeben, um Europa und Amerika die Wahrheit über die Situation in der Ukraine zu verdeutlichen.

Der “ganz und gar unpolitischen” Interviewten wird auch vom (vermutlich ebenso “unpolitischen” Interviewer) jede Behauptung unhinterfragt stehen gelassen. So wurden z.B. “Diktator” Janukowitsch und sein “verbrecherisches Regime aus dem Amt gejagt”. Jede Nachfrage dazu unterbleibt. Der fehlende Hinweis, dass die Präsidentschaftswahl in der Ukraine 2010 unter OSZE-Beobachtung stand, und dass die Wahlbeobachter keine wesentlichen Unregelmässigkeiten feststellten, ist hier interessant. Die Frage, weshalb man Janukowitsch dann nicht einfach in der nächsten Wahlperiode abgewählt hat, unterbleibt ebenfalls.

Die Invasion der Krim durch Russland – das ist ein Problem von globalem Ausmaß. Das ist eine Bedrohung nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa und für die Sicherheit der ganzen Welt.

Der Interviewer unterlässt es zu fragen, worin die globale Bedrohung bestehen soll. Da die Krim historisch eher als ein Teil Russlands als einer der Ukraine zu sehen ist (man denke an das Flottenhauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol), hätte das eine interessante Diskussion geben können. Das Thema wird aber nicht einmal gestreift, der Interviewer geht ihm regelrecht aus dem Wege. So bleibt die stramme Behauptung einer “Invasion” (ich kann mich da eher an eine Volksabstimmung erinnern) unhinterfragt. Und so geht es weiter:

Die ukrainische Kirche hat den Maidan vom ersten Tag an unterstützt und tausende Gebete, die stündlich im Einklang mit dem Maidan erklungen sind, haben uns beschützt.

Das hört sich nach einer Staatskirche an, oder zumindest nach einer einheitlichen, in der ganzen Ukraine verbreiteten Kirchenorganisation. Das Gegenteil ist der Fall, wie man im Lexikon nachlesen kann:

Die Ukraine ist ein konfessionell gemischtes Land. Ca. 75 % der Ukrainer gehören den orthodoxen Kirchen an. Die höchste Zahl an Gläubigen hat die international anerkannte Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats, ein autonomer Teil der Russisch-Orthodoxen Kirche. Daneben gibt es die international nicht anerkannte, nach 1991 entstandene Ukrainisch-orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats. Zwischen den beiden Kirchen tobt ein erbitterter Streit um Legitimität und um Besitzansprüche an Immobilien. Die Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche gilt als dritte östlich-orthodoxe Kirche des Landes. Auch ihre Legitimität ist umstritten. Dem orthodoxen Ritus folgt auch die 1596 entstandene Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche, die allerdings die Suprematie des Papstes anerkennt und mit Rom uniert ist. Ihr gehören ca. 5,5 Mio. Gläubige, hauptsächlich im Westen des Landes, an.

Welche der Kirchen meint “Roslana” mit “Die ukrainische Kirche” nun? Statt solcher Nachfragen liefert der Interviewer jedoch lieber Steilvorlagen. Diese hier blieb ungenutzt, obwohl sie gar als Suggestivfrage formuliert ist:

Dieses Jahr repräsentiert eine Sängerin die Ukraine beim Eurovision Song Contest, die ausdrücklich für den damaligen Präsidenten Janukowitsch Partei ergriffen hat. Kann sie weiterhin die Ukraine repräsentieren?

“Natürlich nicht” will man rufen. Schliesslich hat sie ebenso “unpolitisch” zu sein, wie die Interviewte, oder sie muss durch eine ebenso “unpolitische” Sängerin ersetzt werden (wohl wie der Fernsehchef des Ukrainischen Fernsehens). Ab hier geht das Niveau der Interview-Fragen – sowieso nicht gerade von höchster Güte – steil bergab. Nur noch Steilvorlagen für die gewünschten Meinungsäusserungen werden gegeben. “Gehört die Ukraine mehr zu Europa oder mehr zu Russland?”, “Wie kann Europa der Ukraine helfen?”, etc. Passend gibt's dann die Abschlussfrage für die “Unpolitische”:

Was ist der politische Traum von Ruslana?

Wie sollte ein solch “unpolitisches” Interview auch sonst enden, wenn nicht mit einem Aufruf zum EU-Beitritt?

publiziert Fri, 28 Mar 2014 07:04:56 +0100 #eu #medienkritik #propaganda #ukraine

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