Türkische Polizei bestellt 100.000 Tränengaskanister nach – Obama in Berlin: Zur Pose erstarrte Symbolik und leere Worthülsen
Rechtschreibung genetisch?
Fragt sich Frau Alltag auf monstropolis:
Wenn man sich anschaut, dass tatsächlich immer mehr nach der Methode unterrichtet wird: lasst die Kinder schreiben, wie sie wollen, der Rest kommt schon, verwundert dieser Artikel durchaus nicht (Klick), der besagt, dass 15-jährige immer weniger die Rechtschreibung beherrschen. […]
Ich habe nicht die allerleiseste Ahnung, wie irgend jemand auf die Idee kommen konnte, bei Kindern Fehler sich einschleifen zu lassen, die sich dann anscheinend von selbst korrigieren sollen. Ist die Beherrschung von Rechtschreibung und Grammatik genetisch? Sollte das nicht so sein: jeder weiß, dass es schwer ist, Haltungsschäden zu korrigieren.
Recht hat sie. Ich möchte ergänzen:
Was wir hier als Rechtschreibschwäche erleben, ist ein Symptom: wir sehen hier die Erosion, nein, die Implosion des Bildungssystems. Denn mit dem Verlust des humanistischen Bildungsideals geht weit mehr einher, als nur falsche Syntax und Grammatik.
Und dieser Verlust des Bildungsideals hängt direkt mit dem Verlust des humanistischen Menschenbildes, mit dem Verlust der humanistischen Grundhaltung zusammen. Der marktradikale Neoliberalismus steht dem entgegen.
Der Neoliberalismus soll an allem Schuld sein? Es geht nicht um Schuld. Es geht um Ideologie.
In dieser Ideologie gilt der Leistungsträger, der Träger finanzieller Leistungskraft alles, derjenige jedoch, der wenig oder keine finanziellen Möglichkeiten hat, der Schmarotzer, nichts. Warum soll man also so viel Zeit und Aufwand in die Entwicklung der Sprösslinge letzterer Gruppe stecken?
Wie Peer Steinbrück in einem Artikel in der Zeit gesagt hat:
Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um sie – muss sich Politik kümmern.
Folgt man dieser Aufforderung, so muss ein Kind erst einmal (in diesem Sinne) “Leistung” zeigen, bevor es mit Unterstützung rechnen kann. Alle anderen Kinder sind aufzugeben. An die Kinder, die zuhause in Schwierigkeiten stecken, wird überhaupt nicht mehr gedacht.
Steinbrück entscheidet im Schulwesen nicht, aber er berichtet hier aus der Denkwelt seiner Ideologie. Und die wird von der Mehrheit nicht nur in Deutschland inzwischen geteilt. Sie ist auch in die Schulen, Hochschulen und Universitäten vorgedrungen, und feiert dort fröhliche Urständ’.
Man erkennt das daran, dass nun Ausbildung stattfinden soll statt Bildung. Die Leute, die das fordern, haben den Unterschied oft gar nicht verstanden, oder sie wollen ihn nicht sehen.
Denn Bildung, das Herausführen des Menschen aus seiner (bei Erwachsenen durchaus auch selbstverschuldeten) Unmündigkeit, ist so ziemlich das Gegenteil von Ausbildung, dem Konditionieren auf die Ausführung von angewiesenen Tätigkeiten.
Wer also aus einer “leistungsfähigen” Familie kommt, kommt auf die Eliteschule. Wer nicht, kann, wenn er zeigt, dass es sich lohnt, eine Ausbildung erhalten und sich zu einem Zahnrad in der Wirtschaftsmaschinerie entwickeln.
Und die vielen, die auch das nicht selbst aufzeigen (können), werden aufgegeben. Auf welche Gesellschaft das hinausläuft, dürfte klar sein.
publiziert Thu, 20 Jun 2013 09:34:34 +0200 #bildung #kommentar