“Medizinische Notwendigkeit” oder “Es gibt für die Medizin nicht die Notwendigkeit, jedem zu helfen.” – Volker Pispers zur Bundestagswahl
Warum kann sich eine türkische Zeitung in Deutschland einen Platz im Gericht erstreiten, wenn einfach schon voll ist?
Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, ist doch völlig fair. Natürlich sind Gerichtsverfahren prinzipiell öffentlich, aber die türkischen Medien waren halt zu spät dran. Hätten die Journalisten halt früher fragen müssen. Weshalb geht das trotzdem? Zur Beantwortun dieser Frage muss man die Sachlage anschauen, denn die Öffentlichkeit des Verfahrens unter expliziter Einbeziehung der türkischen Medien ist hier massgeblich:
Es darf als erwiesen gelten, dass die deutschen Behörden, die sich “Verfassungsschutz” nennen, die Neonazi-Netzwerke nicht bekämpft haben, sondern ganz im Gegenteil unterstützt und überhaupt erst möglich gemacht. Damit liegt eine Mitschuld an den Morden bei den Entscheidungsträgern innerhalb der deutschen Exekutive. Deshalb wird auch so rumlaviert in der Öffentlichkeit, und genau um das zu untersuchen gibt es den Untersuchungsausschuss des Parlamentes. Wie in vielen Demokratien ist auch in Deutschland die Legislative die Aufsicht über die Regierung.
Dass hier ein deutscher Geheimdienst tief seit 20 Jahren in rassistische Morde verwickelt ist, ist aber noch nicht der grösste Skandal. Der ist, dass auch die Polizei in rassistische Netzwerke wie beispielsweise dem Kukluxklan verwickelt ist, und dass auch deshalb die Aufklärung der Morde 20 Jahre lang praktisch gar nicht stattgefunden hat.
Deutschland hat ein massives Nazi-Problem, und zwar innerhalb der Sicherheits-Behörden.
Nun ist der Prozess so, dass das Parlament die jahrzehntelangen Verfehlungen der Exekutive untersucht. Und es ist so, dass gleichzeitig strafrechtlich die Gerichte aufarbeiten müssen, was zum einen die direkten Täter betrifft, aber auch was sich an strafrechtlichen Konsequenzen für einzelne Behördenmitarbeiter ergibt. Das ist schon bei der Polizei schwierig (nicht zuletzt wegen deren Korpsgeist und dem ungesunden Obrigkeitsdenken in den Behörden bis hin zur Regierung), aber bei einem Geheimdienst kaum zu schaffen.
Deshalb schlagen ja auch viele vor, diese speziellen Geheimdienste zu schliessen, eine Forderung, der ich mich nur anschliessen kann. Wozu brauchen wir nach dem kalten Krieg noch Geheimdienste, um die Kommunisten zu überwachen und Nazi-Netzwerke zu organisieren und zu finanzieren? Ich sah ja vorher schon keinen grossen Bedarf, um das vorsichtig zu formulieren. Aber jetzt sehe ich sicher gar keinen mehr.
Die meisten der vielen Opfer dieser Morde waren türkische Staatsbürger oder türkischer Abstammung. Man stelle sich vor, wie es im umgekehrten Falle aussähe:
Stellen wir uns mal vor, es käme heraus, dass über 20 Jahre lang Deutsche in der Türkei ermordet worden wären, über 100 Menschen und mehr. Und dann stellte sich heraus, dass der türkische Geheimdienst rassistische türkische Nationalistennetzwerke während der gesamten Zeit unterstützt und finanziert hat. Es stellte sich heraus, dass man die ganze Zeit den Deutschen unterstellt hätte, dass sie durch ihre angebliche eigene Kriminalität (“Kartoffelmorde”) selbst schuld seien, in Wirklichkeit aber die Polizei und der Inlandsgeheimdienst nicht nur nicht ernsthaft ermittelt hätten, sondern der türkische Geheimdienst sogar hinter den Morden steckt.
Man stelle sich vor, dann gibt es das grosse Strafrechtsverfahren in der Türkei gegen die erwischten Täter.
Und jetzt stelle man sich vor, dort würden alle deutschen Zeitungen, die berichten wollen, ausgeschlossen – mit der Begründung, es sei zu wenig Platz im Gerichtssaal.
Was wäre in Deutschland die Folge? Was wäre der Eindruck, der bei uns entstünde? Andersrum geht es genauso den Türken.
Das BVerfG hat schlicht recht. Das ist nicht nur ein juristisch richtiges, sondern auch ein politisch kluges Urteil.