Mal Luft machen und doch Danke sagen…
Hallo liebe CCCler liebes Orga-Team,
ich möchte mich auf diesem Wege einmal herzlichst bei euch bedanken. Zu meiner Person: Ich bin eine 33 jährige Asperger-Autistin und war im Dezember zum erstenmal auf einem CCC Kongress. Ich verfolge die Aktivitäten des Clubs und auch die Kongresse zwar schon seit vielen Jahren online, da ich aber auf Grund meines Austismus und einer posttraumatischen Belastungsstörung große Angst vor dem Kontakt mit fremden Menschen habe, habe ich den Kongress bisher immer gemieden. Aus diesem Grund war auch mein Freund, der im Gegensatz zu mir aus dem IT Umfeld kommt, schon seit fast 10 Jahren nicht mehr auf dem Chaos Communication Congress. Ich bin selbst sehr technikaffin, obgleich ich mich sicherlich nicht mit "richtigen" Hackern auf eine Stufe stellen würde. Ich bin aber ein großer Freund der ethischen Grundsätze des Vereins. Da ich immer einmal einen Kongress live erleben und die Leute die ich so sehr mag, obwohl ich sie nie persönlich kennengelernt habe im realen Leben treffen wollte, haben ich und mein Freund beschlossen doch zum 29c3 zu fahren.
Da ich jedoch nicht wusste, wie ich auf so einem überlaufenen Kongress meine Defizite und meine besonderen Bedürfnisse klar machen sollte, hat mein Freund mir extra für den 29c3 ein T-Shirt gestaltet, dass eine Art Bedienungsanleitung für mich darstellt. Darauf war unter anderem zu lesen, das ich Autistin bin, das man mit mir sprechen kann, mir Dinge zeigen kann, bitte etwas Geduld mit mir haben soll, und was besonders wichtig ist, man mich bitte nicht anfassen darf. Gerade letzteres würde bei mir zu sogenannten dissoziativen Störungen führen. Das heißt, das Gehirn kappt chemisch die Verbindung zur Außenwelt und ich erstarre im wahrsten Sinne des Wortes zur Salzsäule. Somit versteht ihr vielleicht ein bischen, warum mich der Besuch so viel Überwindung gekostet hat und wie wichtig es mir trotzdem war, dabei zu sein.
Als wir am ersten Tag auf dem Kongress angekommen sind, war ich super nervös. So viele Menschen liefen durcheinander. Ich kannte niemanden. Ich dachte schon, "Hier lernst Du nie jemanden kennen. Hier gehst Du unter." Ich wollte schon wieder gehen.
Wie sehr ich mich doch irren sollte.
Schon an der Kasse, wo wir unsere Armbändchen bekamen, respektierte man mein Distanzbedürfnis auf freundlichste Art und Weise und ich durfte mein Bändchen selbst anlegen. Ich musste nicht einmal etwas sagen. Ein stummer Hinweis auf mein "Autisten" T-Shirt genügte und der freundliche junge Mann am Eingang trat lächelnd zurück und überließ mir den Cramper mit dem ich das Bändchen verschloss.
Auch im weiteren Verlauf des ersten Tages trat mir niemand zu nahe. Die Leute lasen mein Shirt und viele erkundigten sich danach. Manche wollten mehr über meine Erkrankung erfahren, andere wollten wissen, ob das tatsächlich so ist, wie es auf dem Shirt steht. Wieder andere fanden die Idee einfach nur klasse.
Nie, nicht ein einziges Mal wurde ich mit verächtlichen Blicken bedacht, niemand überschritt meine Grenzen, niemand machte sich über mich lustig. Keiner der Besucher reagierte verächtlich oder beleidigte mich.
Dies war für mich eine ganz neue Erfahrung. Draußen auf der Strasse sieht das anders aus. Ich war mein ganzes bisheriges Leben immer wieder Opfer von Anfeindungen der übelsten Art. Lange Zeit wusste ich ja selbst nicht was mit mir los war, da Aspies oft erst sehr spät diagnostiziert werden. Ich war bereits etwa 30 Jahre alt, als ich endlich die Diagnose erhielt. Ich bin durch mein oft auffälliges Verhalten und meine häufige Unfähigkeit die Intention von Personen richtig einzuschätzen schon mehrmals in meinem Leben auch Opfer von massivem Missbrauch geworden. Ich will hier nicht zu sehr ins Detail gehen, da dass sehr unschöne Geschichten sind und mit dieser hier nichts zu tun haben.
Am ersten Tag drückte mir dann jemand, nach der Lektüre meines T-Shirts diese Creepercards in die Hand. Zunächst dachte ich, "Oh prima. Die helfen mir bestimmt, mich in Stress-Situationen meinem Gegenüber mitteilen zu können." Ich habe auf dem Kongress auch einige davon verteilt. Allerdings nur die grünen. Für die gelben und roten hatte ich keinerlei Verwendung. Im nachhinein muss ich aber gestehen, dass ich mich fast ein bischen schäme, diese Karten verteilt zu haben, auch wenn es nur grüne waren. Die Art und Weise wie diese Karten von anderen Frauen eingesetzt wurden hat mich erschrocken und zutiefst erschüttert. Ich weiß nicht, was diese Frauen für ein Problem haben. Ich weiß nicht ob denen klar ist, was die mit ihrem mimimi Gehabe für einen Schaden anrichten gegenüber Frauen die mit echtem Sexismus und Missbrauch zu tun haben. Wer soll denn eine Frau noch ernst nehmen, die über Missbrauch klagt, wenn solche Schlagworte derart inflationär gehandhabt werden.
Daher auch dieser Brief mit einem ausführlichen Danke schön.
Ihr, also der CCC, das Orga-Team, und die ganze Community habt einen unglaublichen Job gemacht. Ungeachtet der Tatsache, dass ihr ein derart riesiges Event gestemmt bekommen habt, seit ihr (zumindest aus meiner Sicht und wie ich es erleben durfte) euren Ansprüchen an die Hackerethik und eurer Anti-Harassment Policy mehr als gerecht geworden.
Ich habe so viele wahnsinnig freundliche und nette Menschen kennengelernt. Niemanden hat es interessiert, dass ich behindert bin. Man hat es einfach akzeptiert. Es war kein Thema. Das konnte ich auch bei anderen beobachten. Ich behaupte mal, dass ich leider ein ziemlich geschultes Auge dafür habe. Und ich war ja nicht die einzige Behinderte auf dem Kongress. Auch die Anderen wurden einfach akzeptiert. Beziehungsweise es wurde einfach kein Thema daraus gemacht.
Ihr habt es geschafft, dass ich mich bereits am zweiten Tag so wohl gefühlt habe, dass ich sogar ohne meinen Freund ein wenig durch das Gebäude streifen konnte, ohne Schweißausbrüche zu bekommen. Sonst ist mein Freund immer als Aufpasser an meiner Seite. Und sonst ist das auch notwendig. Ich konnte sogar alleine zwei Vorträge besuchen, während mein Freund in einem Workshop war.
In der Nacht vom dritten auf den vierten Tag saßen wir noch spät in der Hardware Hacking Area und mein Freund lötete noch an einer Platine rum, als ein paar Jungs mit ein paar lustigen Spielsachen in der Nähe unseres Tisches rumkasperten. Ich war von den Dingern so begeistert, dass ich wie ein kleines Kind in die Hände klatschte. Im Normalfall hätte ich erwartet jetzt komisch angesehen zu werden. Nicht bei euch. Die Jungs fragten nur ob ich auch eins haben will. Als ich entgegnete, dass ich zwar technisch interessiert sei, aber noch nie wirklich gelötet habe, meinten sie nur: "Macht nix. Komm mit, wir zeigen dir wie das geht." So etwas kannte ich bisher nicht.
Ihr wart alle so super nett zu mir, dass mir jetzt noch die Tränen in die Augen schießen, wenn ich daran denke.
Und auch die bekannteren Gesichter des Kongresses. Für mich unglaublich. Am letzten Tag begegnete uns noch Constanze auf dem Flur und mein Freund hatte eine Frage an sie. Und obwohl sie mit Sicherheit in den Tagen und Wochen vor und während des Kongresses bis über die Ohren im Stress gestanden haben muss, nahm sie sich freundlich die Zeit, sich mit uns zu unterhalten. Eine Person, die ich sonst eigentlich nur von Kongress-Videos, dem Radio, dem Fernsehen oder als Sachverständige des Bundesverfassungsgerichts kannte. Diese Person, deren Arbeit ich sehr bewundere, steht also einfach so da und unterhält sich mit mir kleiner Autistin. Für euch mag das normal sein. Für mich ist es das nicht. Leider.
Ich bin mir sicher, dass auf einem Kongress auf dem fast 7000 Menschen 4 Tage lang fast rund um die Uhr zusammen sitzen, auch der ein oder andere Spacken dabei ist. Ganz sicher sogar. Aber ich habe keinen getroffen. Ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben in einer so großen Menge von Menschen, die ich zudem gar nicht kenne, wirklich akzeptiert und wohl- gefühlt.
Und das, obwohl ich eigentlich noch nicht mal eine Haeckse bin. Vielleicht werde ich auch niemals eine. Vielleicht doch. Wer weiß. Aber ich hatte halt nicht den Eindruck, dass das wirklich wichtig gewesen wäre. Die Leute haben sich einfach gefreut, dass ich mich für ihre Arbeit interessiere und lernen wollte.
Auch dafür: Vielen herzlichen Dank.
Ich könnte noch stundenlang so weiterschreiben, aber der Brief ist jetzt schon zu lang. Ich möchte eigentlich nur noch folgendes sagen:
Mit eurer unermüdlichen Arbeit, eurem Einsatz und eurem freundlichen Wesen habt ihr es geschafft, einen tollen Kongress auf die Beine zu stellen. Allen Unkenrufen und Feministen-Trolls zum Trotz.
Und was für mich persönlich noch viel wichtiger ist:
Ihr habt es geschafft, dass diese kleine ängstliche Autistin seit dem 29c3 jetzt jedes Jahr im Dezember in Hamburg ein zweites Zuhause hat.
Dafür im besonderen:
D A N K E .
Samantha (Sam) Becker
Ps.: Wir sehen uns 2013…
(Quelle: TageshausChaos)