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Mario Monti hat die ideale Lösung für die Steuerhinterziehungen in Italien gefunden: er will die Steuern für Firmen und Reiche senkenThe US Government Today Has More Data On The Average American Than The Stasi Did On East Germans

Frankfurt am Main. Flughafen.

Das EasyPass-System.

Es ist Freitag, der 16. Oktober 2009. Wir sind auf dem Weg nach Bielefeld zu den „BigBrotherAwards 2009“. Kurzfristig hat mein Partner auf eine Anfrage des CCC zugesagt. Nun sind wir also am Flughafen Frankfurt. Es ist kalt. Es regnet. Ich merke, wie sich eine Migräne ankündigt. Ich habe keine Zeit für sowas. Mein Partner und ich sind als „Abgesandte“ der Datenschleuder unterwegs. Eine gewichtige Aufgabe, was sich im Laufe des Morgens noch mehrmals bestätigen wird. Wir müssen einen Ruf verteidigen, müssen „vorpreschen, wo Engel furchtsam weichen“ Weia. Mein Kopf fängt an zu pochen.

Ist das alles groß hier. Ich bin eher Flughäfen wie Zürich oder Stuttgart gewohnt. Aber die Luft ist gleich schlecht. Endlos viele Leute. Wie immer auf Flughäfen überkommt mich die Sehnsucht. Ganz weit wegfliegen...

Wo müssen wir hin? Es geht um die offizielle Vorstellung des neuen Grenzkontrollsystems der Bundespolizei. Das Pilotprojekt easyPASS. Mit Besichtigung der neuen Grenzkontrollspuren. Wir sind angemeldet. Überall stehen Polizisten in Grüppchen. Es ist irgendwie beängstigend. Warum ein solches Polizeiaufgebot? Eines dieser Grüppchen zeigt uns auf Nachfage den Weg. An einer Theke mit zwei weiteren Polizisten bekommen wir unsere „Ausweise“ nachdem unsere Persos in Augenschein genommen wurden. Keiner von uns hat einen ePass. Dafür haben wir jetzt einen easyPASS mit einem Logo der Bundespolizei. Mit Erstaunen stelle ich fest, dass ich anstatt meines Namens eine Nummer habe: 02. Wir stecken uns die Badges an. Einer der beiden Polizisten bemerkt, dass er die Datenschleuder sehr wohl kenne. Wir werden vorsichtig behandelt, doch es ist eindeutig, wie man zu unserem „Blatt“ steht. Dem zweiten sind wir kein Begriff und er will wissen, wo man unsere Zeitung kaufen kann. Sein Kollege ist nicht amüsiert. Wenn Blicke töten könnten. Wir werden ohne jegliche Kontrolle unserer Taschen und Mäntel durchgelassen und befinden uns jetzt in der Abflugzone. An jeder Ecke ein Polizist, der uns die richtige Richtung weist.

Wir sind da. Ein bisschen zu früh. Die Konferenz beginnt um 11 Uhr. Ein Podium. Vier Namenschildchen (von links nach rechts):

Links vor dem Podium Plätze für interne Gäste, Mitarbeiter, Zulieferer etc. Rechts für Journalisten. Sieht alles ziemlich übersichtlich aus. Auf der rechten Seite vier Leutchen. Eine davon offensichtlich von der Pressestelle. Wir nehmen uns eine Pressemappe, begutachten die Plakate, setzen uns. Das Pochen in meinem Kopf wird stärker. Jetzt bloss nicht schlapp machen. Hinten stehen mehrere Leute und unterhalten sich lautstark über Essen im Allgemeinen, Frühstück im Besonderen, schlechtes Wetter und Bahnverbindungen. Zwei Kameras werden aufgebaut. Noch ein Journalist. Und noch einer. Das ist gut. Aber irgendwie trotzdem noch zu wenig. Die Kollegen sind offensichtlich bestens vorbereitet. Sie lesen Zeitung, schauen in Ihre Handys. Noch eine Kamera. Mit einer ziemlich blonden Kamerafrau. Sehr jung. Scheucht ständig einen Typen mit einem Blatt Papier durch die Gegend: „Weißabgleich“.

Angestrengt blättere ich durch die Pressemappe. Ebenfalls übersichtlich. Zwei Blatt. Ein kleiner Flyer. Ich möchte nicht wie ein Idiot dastehen und versuche mir einen Überblick zu verschaffen:

------------------------------ schnipp ------------------------------
Bundespolizei

Pressemitteilung

Startschuss für neues Grenzkontrollsystem der Bundespolizei auf dem
Flughafen Frankfurt/Main

Der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Dr. August Hanning,
hat heute den Startschuss für das Pilotprojekt easyPASS gegeben.

easyPASS ist die Bezeichnung für eine teilautomatisierte Grenzkontrolle
auf Basis des elektronischen Reisepasses (ePass) und des darin digital
gespeicherten Passbilds.

Die vier Grenzkontrollspuren des Pilotprojekts „easyPASS“ werden im
Ankunftsbereich des Terminals 1 Flugsteig C unmittelbar vor den
Grenzkontrollschaltern aufgebaut. Reisende mit einem ePass können diese
Grenzkontrollspuren nutzen, indem sie ihren ePass vor dem Betreten der
Grenzkontrollspur auf die bereitstehenden Scanner auflegen. Dort werden
die Echtheitsmerkmale des ePasses geprüft und anhand der ausgelesenen
Daten (Passnummer, Name, Geburtsdatum, Länderkennzeichen) die gesetzlich
vorgesehenen Fahndungsabfragen durchgeführt. Wird der ePass als gültig
erkannt, öffnet sich die Grenzkontrollspur und eine in die Ausgangstür
eingelassene Kamera erfasst das Gesicht des Reisenden zum Vergleich mit
dem zuvor aus dem ePass ausgelesenen digital gespeicherten Lichtbild.
Nach erfolgreicher Überprüfung öffnet sich die Ausgangstür zum
Grenzübertritt und alle zuvor erzeugten Daten werden gelöscht. Beamte im
dahinter liegenden Grenzkontrollschalter beaufsichtigen den Prozess und
entscheiden anhand der Überprüfungsergebnisse, ob weitere Maßnahmen
erforderlich sind.

Herr Staatssekretär Dr. Hanning erklärte hierzu:

„Das Verfahren scheint auch vor dem Hintergrund der zunehmenden
Verbreitung elektronischer Reisepässe als besonders zukunftsträchtig und
nützlich für die Reisenden. Es kann die Wartezeiten während der
Grenzkontrolle verkürzen und zugleich ein Höchstmaß an Sicherheit
gewährleisten.“

Voraussetzung für die Nutzung des Systems ist ein gültiger,
elektronischer Reisepass der Europäischen Union, des Europäischen
Wirtschaftsraumes oder der Schweiz. Außerdem muss der Nutzer mindestens
18 Jahre alt sein. Eine vorherige Registrierung zur Nutzung ist nicht
erforderlich. Das System wird zunächst sechs Monate als Pilotprojekt am
Flughafen Frankfurt/Main betrieben. Reisende können selbst entscheiden,
ob sie von dem angebotenen Service Gebrauch machen.

Die Bundespolizei erwartet durch Grenzkontrollsysteme nach dem Muster
von easyPASS eine Entlastung der konventionellen
Grenzübertrittskontrollen zu Gunsten kürzerer Wartezeiten für alle
Reisenden. Mit diesem Pilotprojekt werden die Zuverlässigkeit und
Sicherheit einer automatisierten und ePass-gestützten Grenzkontrolle auf
Basis der Gesichtserkennung einem umfassenden Praxistest unterzogen.

Mit Hilfe der viel versprechenden Technologie wird die Bundespolizei
jetzt erste, wichtige Erfahrungen sammeln um diese in die künftige
Entwicklung und Nutzung einfließen zu lassen.

BUNDESPOLIZEIPRÄSIDIUM
STABSSTELLE PRESSE- UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT
Sandra Pfeifer V.i.S.d.P.
Heinrich-Mann-Allee 103 14473 Potsdam
Tel. +49(0)331 97 997-9410 Fax: +49(0)331 97 997-9321
------------------------------ schnapp ------------------------------

Mein Partner klappt sein Notebook auf und öffnet die vorbereiteten Fragen. Gott sei Dank. Er weiss genau um was es geht und hat bereits Input von starbug und Jens bekommen. Ok. „I bin grüschtet. Jetz kennet se komma...“

Die linke Seite füllt sich bis auf den letzten Stuhl. Wo kommen die so plötzlich alle her? Die „Vier“ betreten das Podium und nehmen Platz. Alle sehen sie irgendwie gleich aus, Männer mittleren Alters, grauer oder dunkler Anzug, weisses Hemd, graue Haare, ordentliche Frisur.

Wolfgang Wurm, Leiter der Polizeidirektion am Flughafen München, hält eine kurze Einführung, erklärt den vorgesehenen Ablauf: Rede des Herrn Staatssekretärs, kurzer Film, Fragen der Journalisten, Besichtigung und Benutzung der Grenzkontrollspuren. Er erzählt vom Pilotprojekt und der angeblich übereinstimmend positiven Reaktion der Menschen auf das System von „endlich“ bis zu „toll“ und „zukunftsweisend“. Dann übergibt er den Redestab an Dr. Hanning. Dieser hält seinen ePass hoch und meint, bis heute morgen hätte er nicht gewusst, was das Wort eigentlich heisst und was sich genau dahinter verbirgt. Wie bitte? Er spricht von der „immensen Bedeutung des Systems für das Bundesministerium des Innern. Es soll dem Missbrauch und der Nutzung gefälschter Pässe entgegenwirken und somit den Terrorismus verhindern.“

Ich kann der Logik dieser Aussage nicht ganz folgen. Das Pochen in meinem Kopf steigert sich ins Unerträgliche. „Deutschland und die EU haben gemeinsam die Einführung biometrischer Merkmale im Reisepass beschlossen. Bis 2015 soll dies flächendeckend abgeschlossen und umgesetzt sein. Das System ermöglicht eine bessere Kontrolle und stellt damit einen grossen Gewinn für die innere Sicherheit dar. Es schützt gegen organisierte Kriminalität und den Rauschgifthandel. Es verhindert lange Schlangen und unfreundliche Grenzbeamte.“ Er versucht das „unfreundlich“ wegzusynonymisieren. Wie immer bei solchen Versuchen, steht das Wort unheilvoll in der Luft. „Bei Reisen nach Amerika oder Übersee werden Wartezeiten vermieden. So können wir demonstrieren, dass wir ein freundliches Land sind. Manche Dinge kann ein Computer eben besser erkennen, z.B. ob ein Pass gefälscht ist oder eine Person passieren will, die fahndungstechnisch gesucht wird. Man kann dadurch mit begrenztem Personal mehr Reisende abfertigen und wird so einem zunehmenden Reiseverkehr gerecht. Sein Dank gilt der Bundespolizei, dem BSI und den Firmen, die dieses Projekt ermöglicht haben. Er bedankt sich zudem für die gute Zusammenarbeit. Der Kostenfaktor und Personalaufwand für lange Schlangen wird minimiert, Fraport ist der Gewinner. Der Probebetrieb wird bis Ende März 2010 gehen, dann werden weitere Stellen folgen. Auch in München soll das System installiert werden, später flächendeckend. In der EU, Norwegen und der Schweiz. Eben überall wo es sich lohnt, d.h. wo grosse Menschenmassen abgefertigt werden müssen, denn die Investitionskosten sind beachtlich.“ Das muss ich mir merken. Wie hoch ist eigentlich „beachtlich“? Es soll eine 100-prozentige Kontrolle erreicht werden. Was sonst?

Nun folgt das Video auf zwei grossen Bildschirmen: Eine junge Frau mit viel zu engem Jacket wird zur Hauptaktrice einer sehr kurzen Geschichte. Der Flughafenbesucher der Zukunft und sein Weg durch die Passkontrolle. Es wird gezeigt, wie die „Schleusen“ benutzt werden. Irreführend sind Laserstrahlen, die visualisieren sollen, wie der Gesichtsscan funktioniert. Die Kamera muss auf Gesichtshöhe gefahren werden und dann kann erst der endgültige Scan erfolgen. Für mich sieht es aus, wie wenn Körpergrösse, -umfang, Gesichtsform und Iris mit Laser abgetastet und gemessen werden würden. Ich sehe keine technischen Details, keine Erklärung, wie das System arbeitet. Was für Kameras kommen zum Einsatz? Wie genau funktioniert der Scan? Was genau wird gescannt? Welche Software wird verwendet? Von wem entwickelt? Wie funktioniert sie? Wer wartet sie? Wie oft wird upgedatet? Nach welchen Kriterien wurde das System genau konzipiert? Wer hat die Eckdaten festgelegt und nach welchen Sicherheitsrichtlinien wird gearbeitet? Wie funktioniert der Scan des ePasses? Wieviel echte Menschen überwachen das Ganze noch? In welchen Schichten? Wo sitzen diese? Was passiert, wenn der ePass nicht erkannt wird? Oder wenn man inmitten der Schleuse steht und das System bringt einen Fehler? Wie wartungsintensiv ist das System und deren Komponenten? Wer macht das und welche Kosten sind jeweils damit verbunden? Wie lange dauert der gesamte Prozess durch die Schleusen schlussendlich? Mit was werden die Daten abgeglichen? Liegt eine Datenbank der Polizei oder der einer Behörde zugrunde? Wo erfolgt der Abgleich? Auf welchen Maschinen wird der Abgleich vorgenommen? Was sind das für Maschinen? Wo stehen diese? Werden die Daten gespeichert? Für wie lange? Was, wann, wie, wer, weshalb, warum... Ich befürchte die ganze Zeit, dass der einzige Knopf des Jackets der Darstellerin mit einem Plopp auf die Kamera knallt. Bevor das passieren kann ist der Film zu Ende.

Ich bin kurz davor aufzuspringen, aber das Hämmern in meinem Kopf drückt mich auf meinen Stuhl. Ich spüre eine beruhigende Hand auf meinem Arm und ein leises Flüstern an meinem Ohr. Ich verstehe. Keinen Vorwand liefern, was irgendwie schaden könnte. Auch wenn es schwerfällt. Kein Problem. Es sind ja auch noch andere Leute da. Es wird zweifellos unendlich viele Fragen geben. Dieser Film ist eine Farce. Sie werden alles erklären müssen. Bis ins kleinste Detail. Da bin ich mir sicher.

Herr Wurm ergreift erneut das Wort und fordert nun dazu auf, Fragen an die "Vier" auf dem Podium zu stellen, bevor wir zur Besichtigung schreiten. Es geht los...

Stille. Ich sehe mich um. Keine Fragen? Niemand? Mein Schädel platzt. In der ersten Reihe hebt ein Journalist die Hand. Endlich. Er stellt sich vor. In meinem Kopf ist Matsch. Er fragt nach den Kosten des Systems. Ja genau, das mit dem „beachtlichen“ Kapitaleinsatz. Gute Frage. Sie wird freundlich aber energisch abgeschmettert. Man könne über Investitionsdetails nicht reden. Keine Zahlen, keine Angaben zu den technischen Aufwendungen oder Mietkosten.

Erneut Stille. Mein Partner meldet sich:

Frage: Wie werden die Zertifikate distributiert? Antwort: Online

Frage: Wo werden sie gespeichert (auf dem Lesegerät oder zentral auf dem Flughafen)? Antwort: Im BSI, der zentralen Instanz für alle Länderdaten.

Der Matsch wird immer dichter. Habe ich mich verhört? Da muss ich dranbleiben.

Frage: Werden Daten auf den Pass zurückgeschrieben (Gültigkeitsdatum des Zertifikats)? Antwort: Nein

Frage: Kann ein ePass passieren bei nicht auslesbarem (RFID) Chip? Antwort: Nein.

Frage: Machen sie einen automatischen Abgleich von Gesicht und Finger? Antwort: Ja, vom Gesicht

Weitere Fragen von ihm. Es geht zu schnell. Ich kann nicht mehr mitschreiben. Aber ich glaube, er hat alles.

Ich möchte auch was fragen. Was genau eigentlich? Ach ja, ich strecke. Man gibt mir ein Mikro in die Hand. Ich höre meine Stimme wie durch eine Glasscheibe gefiltert: „Es geht um Personaleinsparung, die man gerne mit Personalentlastung umschreibt. Im Grunde läuft das doch auf Enlassungen hinaus. Andererseits investiert man nicht zu benennende Kosten, was für mich den Eindruck einer horrenden Summe macht, bei der nach Bekanntwerden womöglich ein Aufruhr zu erwarten wäre, vor allem bei eventuell von Kündigung betroffenen Personen. Wieviel Menschen werden denn letztendlich noch benötigt, um das Ganze zu überwachen?“ Auf der linken Seite entsteht Unruhe. Gemurmel. Antwort: Mehrere Kontrolllinien werden von einem Beamten überwacht. Zur Zeit kommen auf vier easyPASS-Spuren zwei Beamte. Vorgesehen ist allerdings ein Beamter für vier Spuren, später eventuell sogar für acht. Zudem wird momentan noch „konventionell“ geprüft, da es zuwenig Kontrollspuren gibt. Ich halte das Mikro fest umklammert. Bei der „konventionellen“ Methode schaut der Beamte die Person an. Kontrolliert wird auch hier jeder, aber der Abgleich mit der Fahndung kann nicht jedesmal erfolgen. Beim automatischen Kontrollsystem können „kritische Fälle“ z.B. bei Nichterkennung gezielt und sofort aufgegriffen werden. Wie meinen die das? Pro Spur können 240 Passagiere pro Stunde abgefertigt werden. Soll heissen, das Vierfache an Kontrollvolumen teilautomatisiert auf kleinstem Raum. Herr Wurm ergänzt, dass bei der Erprobungsphase die Resonanz durchweg positiv war. Das sagte er schon. Die beachtliche Zahl von 9680 Reisenden hat sich über eine Referenzdatei registrieren lassen (Testuser), ursprünglich hätte ein Drittel davon gereicht. Ok. Die Menschheit findet das alles angeblich total cool.

Noch eine Frage zur Datenspeicherung. Herr Kowalski vom BSI antwortet. Ich verstehe kein Wort. Mein Partner schaut mich erstaunt an. Andere drehen sich nach mir um. Was habe ich gemacht? Die Unruhe verstärkt sich. Herr Wurm sagt ein paar Sätze. Ein weiterer Mann steht auf. Er möchte meine Frage beantworten. Wer ist das? Meine Wahrnehmung ist leicht gestört. Sein Name ist Mathias Krell. Er ist der Projektleiter. Es werden Länderzertifikate gespeichert. Im BSI. Der Abgleich der Daten des Systems erfolgt dann online. Es werden keine Daten auf den Pass zurückgeschrieben. Die Daten werden also ans BSI online übermittelt, abgeglichen, online zurückgesendet. Mit einem ok oder auch nicht.

Dann geschieht alles ganz schnell. Da es keine keine weiteren Fragen gibt (Moment mal, ich habe ja noch gar nicht richtig angefangen), Abbruch, Ende, Aufbruch zur Besichtigung. Auch recht. Ich bin erschöpft. Wir stehen auf. Ein Mann kommt wie zufällig auf uns zu. Er begrüsst meinen Partner als sei er ein alter Freund. Er ist von der Firma, die das System herstellt. Spricht davon, dass er weiss, woher wir kommen, dass unser Blatt recht kritisch sei, blablabla. Er lächelt mich an. Ich finde ihn wahnsinnig unsympatisch. Ich sage, dass der Film mich irritiert hat und frage ob der Laser/Scanner die Grösse messen kann. Er verneint, meint, es gäbe keinen Laser und weist seine Mitarbeiterin darauf hin, dass sie eventuell diese Sequenz im Film überarbeiten oder ändern müssen. Sie nickt, schreibt aber nichts auf. Kann sie sich das merken oder ist das eh nur Show? Sie hält sich im weiteren Verlauf dezent im Hintergrund. Der Film ist also von der Herstellerfirma des Systems. Interessant! Ich fabuliere weiter, „das mit der Grösse wäre ja auch schwierig, vor allem weil Frauen bei dieser Angabe ja immer schummeln. Manche jedenfalls. Vor allem die kleinen. Wer misst das schon nach? Und wenn sie dann noch Stöckelschuhe tragen, stimmt ja gar nichts mehr. Das wird bei Männern wohl seltener vorkommen, obwohl es anscheinend Einlagen in die Schuhe gibt, die man nicht sieht, aber bis zu mehrere Zentimeter bewirken können“. Da fällt mir ein, dass man sich solche Dinge beim ersten Perso nach dem Kinderausweis überlegen muss, denn später nehmen die die Daten aus dem vorherigen. Bin ich eigentlich noch zu retten? Der Typ hält micht wahrscheinlich für völlig plemplem. Macht nichts, so fühle ich mich auch. Er heuchelt Interesse, lächelt gewinnend. „Ich habe sogar schon von Menschen gehört, die eine falsche Augenfarbe angegeben haben. Das halte ich allerdings für ein Gerücht. Vor allem würde das ja gar nicht gehen, wenn man die Iris scannt.“ Er blickt mich an: „Die Iris wird nicht gescannt.“ Aha.

Wir sind an den vier Kontrollspuren angekommen. Begleitet von einer Schar Uniformierter. Ich weiss immer noch nicht, wieso das so viele sind. Aber vielleicht ist es ja, weil wir uns schon im „Inner Circle“ des Flughfengebäudes befinden. Jemand weist darauf hin, dass wir beim Verlassen nicht vergessen sollen, unsere Badges abzugeben.

Kameras werden hin- und hergetragen. Ein leeres Blatt wedelt durch die Luft. „Weißabgleich“. Eine Stimme übertönt den Lärm: „Möglichst nicht mit Blitzlicht fotografieren, da die Blitzlichter eine Irritation der Kameras des Systems hervorrufen können“. Was? Die „Vier“ werden in einer Reihe hinter ein blaues Band positioniert (wieso eigentlich blau?). Herr Dr. Hanning zerschneidet es angemessen feierlich. Das war zu früh. Es ist nicht ordentlich im „Kasten“. Also nochmal. Der Schnitt durch ein zerschnittenes Band.

Dann schreitet Herr Dr. Hanning zur Tat. Ich sehe nichts. Klein sein ist immer öfter von Nachteil. Ich höre, dass das System beim dritten (oder vierten?) Versuch des Staatssekretärs endlich funktioniert hat. Verflixter Vorführeffekt. Deutliche Erleichterung in den umliegenden Gesichtern. Das System ist offiziell freigegeben. Jetzt dürfen auch die anderen mal spielen. Wie schon gesagt, wir haben beide keinen ePass.

Nur vereinzelt trauen sich Leute an eine Kontrollspur. Mir scheint, jene sind eh Statisten für die Kameras. Aus einer Gruppe löst sich ein junger Mann und geht auf eine Schleuse zu. Ein bisschen aufgeplustert. Er eignet sich ideal. Richtig gross und mit sich selbst beschäftigt. Er legt seinen ePass auf den Scanner vor der Schleuse. Ich stehe direkt hinter ihm. Die beiden Glastüren schwingen nach aussen auf. Er betritt die Schleuse. Ich mit. Ich ducke mich ein wenig, denn ich habe nicht aufgepasst wer vorher durchging. War die Person klein, steht der Scanner eventuell unpraktisch und sieht mich. Heiss durchfährt mich ein weiterer Gedanke, ich habe einen Rucksack auf. Wird die Tür hinter mir ungehindert schliessen können? Wenn nein, löst es Alarm aus und der Typ vor mir dreht durch? Ich sehe mich um. Meine Angst ist unbegründet. Alles verläuft ganz wunderbar. Erfolgreicher Scan. Die vordere schwarze Tür öffnet sich, wir passieren beide. Der junge Mann formt das Siegeszeichen zu seinen Freunden hin. Er hat nichts gemerkt. Ich werde von einem Menschen hinter einem Tresen direkt vor mir angerufen. Er hat mich bemerkt und hätte mich jetzt aufgehalten. Nun ja, fast ganz wunderbar. Da die zweite Tür undurchsichtig ist, muss er meine Beine gesehen haben. Oder gibt es noch eine zusätzliche Kamera irgendwo? Oder jemand hat ihm ein Zeichen gegeben. Ich bin trotzdem zufrieden.

Sofort kommt ein Mann auf mich zu. Sein Name ist Manz. Der Schmerz hat seinen Höhepunkt erreicht. Ich möchte mich irgendwo in ein dunkles Eck verkriechen. Er stellt die Frage, ob ich mit dem Ergebnis zufrieden sei. Ich kann dieser Frage nicht folgen. Er erklärt, dass sie mich ja entdeckt hätten. Ach so meint er das. Ich muss meine Gedanken ordnen. Wieso erscheint eigentlich niemand mit einer Kamera? Hat das überhaupt jemand gefilmt? Überhaupt gesehen? Oder fiel das gar nicht auf? Oder interessiert das überhaupt niemanden? Will man lieber von einer einwandfreien Einführung berichten? Alles super, alles gut? Wo bleibt denn jetzt der „Weißabgleich?“ Mein Partner antwortet, dass eine Entdeckung vielleicht durch mehr passierende Menschen oder eventuelle „Komplizen“, die ablenken, verhindert werden könne. Herr Manz reagiert skeptisch aber super freundlich. Argumentiert. Rechtfertigt. Beteuert. Betont. Wir verweisen auf die Verbesserung des jetzigen Systems zur vorherigen Version. Hört sich in meinen Ohren nicht besonders überzeugend an. Immerhin werden jetzt keine Daten mehr auf den ePass zurückgeschrieben. Er bedankt sich überschwenglich. Ich glaube, ich befinde mich bereits im Delirium. Warum sind die alle so nett? Ein weiterer Mann positioniert sich vor mir. Er ist sehr gross, in Uniform und macht einen furchteinflößenden Eindruck. Hinter ihm zwei weitere Uniformierte. Er sagt, sie hätten die Schwachstelle bereits erkannt und würden schon darüber nachdenken, die Schleusen besser „schräg“ zu stellen. Ich denke, ich muss mich übergeben. Schräg zu was? Zu der Überwachungstheke mit den Menschen dahinter? Warum? Hat man mich doch nicht richtig gesehen? Er sagt noch was. Herr Manz gibt mir seine Visitenkarte. Sie verschwindet irgendwo. Ich kann nicht mehr. Mein Partner nimmt meinen Arm, da meine Gesichtsfarbe anscheinend gerade ins grünliche wechselt. Wir gehen. Zwischen einer fast geschlossenen Reihe Polizisten hindurch. Niemand beachtet uns.

Ein langer Gang. Wir biegen links ab und haben uns verlaufen. Wir steuern auf zwei Sicherheitsbeamte vor einer Treppe zu und erkundigen uns nach dem Weg. Der Blick fällt auf unsere Badges: „Ah, sie sind vom Personal, dann nehmen sie die Tür dahinten. Dann müssen sie nicht durch den Zoll.“ Mein Partner sieht mich an und meint, nein, wir müssten direkt zur Zollkontrolle und dann zum Parkhaus. Die Beschreibung folgt.

Wir nehmen unsere Badges ab und die Persos raus. Der Mensch an der Zollkontrolle spricht mit mir. Meint, mein Perso laufe bald ab und ich käme ja vom schönen Bodensee. Ich antworte auf schwäbisch. Mein „Geburtsfehler“, den man unzweifelhaft auch hört, wenn ich versuche, hochdeutsch zu sprechen. Das oberschwäbische „A“ ist unverkennbar. Wie soll das eine Maschine jemals erkennen?

Patricia Bednar & Volker Birk im Auftrag der Datenschleuder. 4.12.2009

Nachtrag: bcc, Berlin, Alexanderplatz.

Es ist Dienstag, der 29.12.2009. Tag 3 des 26th Chaos Communcation Congress. Vortrag: „Europäische Biometriestrategien Die Automatisierung von Personenidentifizierung an der Grenze und die damit einhergehenden kontrollpolitischen Veränderungen.

Der Vortrag beschäftigt sich mit der Frage der technischen und gesellschaftlichen Implikationen von Identifizierungstechniken, die Prozesse der In- und Exklusion von Menschen in Nationen zu automatisieren suchen.

Grundlage sind auch Experteninterviews mit Entwicklern und Projektleitern der Automatisierten Biometrischen Grenzkontrolle am Frankfurter Flughafen, der Iriserkennungssoftware bei L1 Identity Solutions sowie der Gesichtserkennungssoftware bei Siemens, sie werden als Fallbeispiele im Vortrag vorgestellt.“

Hört sich toll an. Muss ich hin. Es ist eine Semesterarbeit und stammt vom Frühjahr 2009. Damals waren noch Iris-Scanner geplant. Aber irgendwie hat halt alles nicht so richtig geklappt wie vorgesehen. Genau genommen gar nichts. Wieviel Geld da schon wieder verbrannt wurde. Ich darf gar nicht drüber nachdenken. Der Vortrag war interessant, aber die Implikationen recht unreflektiert. Das kam daher, dass Fragen ihrerseits über technische Details und Zuständigkeiten jeweils von den Befragten wischiwaschi beantwortet wurden. Ein Zuhörer stellte die Frage, wer denn nun die „Bezahler“ des Systems seien. Und Wunder oh Wunder, es ist der Steuerzahler. Er dachte wirklich, das würden teilweise die beteiligten Firmen bezahlen?! Eigentlich recht einleuchtend, wenn man bedenkt, dass der „Bezahler“ nichts bis sehr wenig über das System weiss und auch in keinster Weise sonst irgendwie eingreifen kann. Er kauft – wie denn so oft – die Katze im Sack. Auch padeluuns Einwand, dass es überhaupt nicht darum ginge, ob das System funktioniere oder nicht, sondern um die Korruption drumherum und mitten drin und er immer noch auf der Suche nach einem kritischen Journalisten sei, der das aufdeckt, bestätigt die „Verschlossenheit“ der Beteiligten. Erfahren tut man gar nichts (vor allem auch nicht über die Kosten, wie oben schon berichtet). Diese Aussage malt rote Flecken auf die Wangen der Vortragenden. Bei ihr hat das System noch gar nicht funktioniert. Heute ist es täglich im Einsatz und wird nicht nur von den Betreibern sondern auch der Presse fröhlich hochgejubelt. Obwohl das mit dem Iris-Scan noch beobachtet werden muss.

Dadurch wird bei mir der Eindruck noch verstärkt, dass wir nach dem Prinzip „Keep them Busy“ behandelt werden. Um unser Auge von was abzulenken? Mit was will man uns wirklich überrumpeln? Mit Schreckensszenarien aus dem 5. Element? Minority Report? Gattaca? Gelben Kreisen an der Wand? „Spinnen“, die unsere Augen scannen? Blutabnahme-Scannern? Die Positionierung in der Gesellschaft, die Vergabe von Schul- und Studienplätzen nur unter Nachweis der richtigen „Gene“? Oder sind es die „Nacktscanner“, die jetzt eingeführt werden sollen? Lustige Vorstellung, dass Grenzbeamte ständig mit 'ner dicken Hose dasitzen. Aber der Intimbereich des Gescannten soll ja „unscharf“ abgebildet werden. Ohhhhh. Und wo das wieder gespeichert werden wird. Ich darf gar nicht drüber nachdenken. Mit zwanzig findet man das vielleicht noch einigermassen spassig, aber ich bin eindeutig zu alt für diesen Scheiß!

Oder wie sagte noch Dieter Moor in ttt – Titel Thesen Temperamente am 3.1.10: „Der Gescannte soll nur gepixelt dargestellt werden bzw. nur maschinenlesbar sein, das wäre dann also der erste Maschinenporno der Geschichte. Da muss sogar der Kaiser in seinen neuen Kleidern durchgehen und was dabei herauskommt, weiss doch jedes Kind…“

publiziert Tue, 04 Dec 2012 13:24:35 +0100 #easypass #terror

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