Der Verfassungsschmutz – eine Anklage
Wer die Rede von Marcel Reich-Ranicki gehört hat, und dabei unberührt geblieben ist, der ist wohl innerlich schon so abgestumpft, dass ihn das Folgende auch nicht mehr interessiert. Für alle anderen:
Wieder ziehen Nazi-Mörder durch's Land. Seit 20 Jahren nunmehr. Und wieder gibt es einen Geheimdienst, der sie stützt, deckt und finanziert: den in zynischem Neusprech so genannten “Verfassungsschutz”. Man sollte ihn viel eher Verfassungsschmutz nennen, denn er beschmutzt alle Werte, auf denen die Bundesrepublik errichtet wurde.
Von diesem unsäglichen Geheimdienst, der mit alten Nazis als Mitarbeitern gegründet wurde, gibt es gleich viele Kopien: jedes der 16 Länder hat einen, und dazu kommt der Bundes-”Verfassungsschutz”. Diese Behörden wurden im Kalten Krieg zur Bekämpfung der Kommunisten gegründet. Und die Besetzung mit Nazis war kein Zufall: wie auch bei den Stay-Behind-Armeen der NATO, so galten auch hier Nazis als zuverlässige Erzfeinde der “roten Gefahr”.
Es ist ein unerhörter Skandal, dass solche Geheimdienste nach wie vor bestehen und aus Steuermitteln finanziert werden. Verfassungsbeschmutzer dieser Dienste haben nachweislich nicht nur jahrelang die Umtriebe der Nazimörder in Deutschland gedeckt, sondern sogar noch aus ihrem Budget mit finanziert. Bei der Historie wundert es einen nicht, dass der “Verfassungsschutz” lieber die Linkspartei bespitzelt, Nazis dagegen fördert.
“Wann, wenn nicht jetzt, sollen wir mit den Ermittlungen gegen die Rechtsextremisten beginnen?” fragte der wohl schon völlig abgestumpfte Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, das Publikum bei seinem öffentlichen Vortrag in Konstanz kürzlich. Auch er kam nicht auf die Idee, dass eine Mordserie, die vor 20 Jahren begonnen hat, längstens polizeilich untersucht und staatsanwaltschaftlich verfolgt hätte werden müssen. Das zeigt exemplarisch die Verrohung der Politik in Deutschland, die Menschenverachtung des ordoliberalen Weltbildes, einer Ideologie, die ihre nur geheuchelte Zustimmung zum Grundgesetz kaum mehr verdeckt.
Ranicki sprach vorm Deutschen Bundestag. Vor ebenjenem Bundestag, der seinen eigenen Untersuchungsausschuss zur Sache als Gelände für parteitaktische Spielchen ansieht, der bisher keinerlei Ernsthaftigkeit beim Aufdecken und vor allem beim Ziehen von Konsequenzen aus dieser monströsen Situation zeigt.
Konnte Ranicki die Abgeordneten mit seiner Rede überhaupt erreichen? Oder haben die Zyniker in den sogenannten “grossen” Parteien den alten Mann einfach plappern lassen, schliesslich gehört das zur Fassade? Der Deutsche Bundestag wird sich daran messen lassen müssen, wie er jetzt mit dem Problem umgeht. Mir schwant Übles. Quo vadis, Deutschland?