Kooks muss jedes Fach ertragen – so wohl auch die Philosophie
Das Plappern über Dinge, mit denen man sich nie ernsthaft beschäftigt hat, ist für viele Menschen eine Beschäftigung, der sie gerne bei alkoholischen Getränken zur Unterhaltung in ihrer Freizeit nachgehen. Doch einige Zeitgenossen nehmen sich bierernst, und bilden sich tatsächlich ein, sie könnten mal eben aus dem Handgelenk über ein gesamtes komplexes Wissenschaftsfeld urteilen, das ihnen bis dahin fremd ist.
Die Philosophie ist hier Standardopfer. Das hängt auch damit zusammen, dass schon das Wort “Philosophie” von jedem Schwachmaten und Esoteriker für dessen Ergüsse beansprucht wird. Jegliche PR-Abteilung einer jeden Pissbude spricht schon von “Firmenphilosophie”. Und die “Lebensberater” aller Couleur bemühen sich, ihre “Philosophie” unter die Kunden zu bringen. Religiöse und ideologische Agitatoren verkaufen ihre “Philosophie”.
Mit wissenschaftlich betriebener Philosophie hat das alles freilich nicht das Geringste zu tun. Diese Wissenschaft muss obligatorisch ertragen, wie ihr Name durch den Dreck gezogen wird, jeden Tag aufs Neue.
Dazu kommt seit einiger Zeit eine weitere Gruppe von philosophischen Laien, die sich aufgrund ihrer Fachkompetenz in einem anderen Fach für allwissend hält: es ist eine Gruppe innerhalb der Naturwissenschaftler, die ihre Physik für die allumfassende Wahrheit halten, und daraus eine Quasireligion basteln. Die Bewegung, der diese Gruppe angehört, entnimmt ihre Energie einem ernsthaften Problem- und Spannungsfeld: denn die Aufklärung steht unter ständigem Beschuss von Religionsvertretern und religiösen Ideologen. Es gut meinend gefährdet die angesprochene Gruppe dann unfreiwillig genau das, was sie anstrebt zu schützen.
Der Schaden ist nicht unerheblich: statt eine moderne Weltsicht zu ermöglichen, ist es genau diese Gruppe von Naturwissenschaftlern, die den Rückfall in den Mechanizismus des Dampfmaschinenzeitalters mitträgt in der öffentlichen Diskussion. Blankes Unverständnis bei jenen Protagonisten sorgt dafür, dass sie gar nicht erkennen, wie sie in ihrem eigenen Gebiet mit der Quantenmechanik längst jegliches Uhrwerksdenken ad absurdum geführt haben, genau solches jedoch nun für die Philosophie wieder einfordern. Jene Gruppe von Naturwissenschaftlern ist es also, die die philosophischen Grundlagen ihres eigenen Faches beschädigt, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu werden.
Man kann es auch in diesem Thread wieder sehen: da wird zu Reputationszwecken mit der Veröffentlichung von physikalischen Papers herumgewedelt, um dann eine reine Bankrotterklärung in Sachen philosophischer Grundkenntnisse abzugeben – was solche Agitatoren aber keineswegs davon abhält, die allumfassende Wahrheit zu kennen, nämlich: Philosophie ist immer Blödsinn, ausser natürlich die eigene!
Kurz: es ist zum Mäusemelken. Weshalb ist es so schwierig zu verstehen, dass das Einarbeiten in ein komplexes wissenschaftliches Feld eben nun einmal Jahre der Bemühungen erfordert? Und weshalb ist es schwierig zu erkennen, dass wenn man sich in eines der Felder eingearbeitet hat, dass man dann über andere Felder in der Wissenschaft immer noch so gut wie überhaupt nichts weiss?
Die Antwort auf diese Frage hängt mit dem Mangel an Propädeutik und Wissenschaftstheorie zusammen, der (nicht nur) bei solchen Protagonisten deutlich wird: zumindest mit diesen Feldern der wissenschaftlichen Philosophie hätten sie sich doch einmal auseinandersetzen müssen! Tatsächlich kann man jedoch auch eine Wissenschaft nach einem Regelwerk betreiben, ohne das Verständnis dafür, was man hier eigentlich macht; das geht nämlich, solange man innerhalb einer Wissenschaft bleibt, und jene nicht verlässt.
Die Bankrotterklärung kommt also auch bei mangelndem Verständnis für Wissenschaftstheorie erst dann zustande, wenn man das eigene Feld verlässt.
Dann kommt sie aber umso sicherer.
publiziert Sun, 20 Mar 2016 11:37:14 +0100 #m( #philosophie #spacken #wissenschaft