Warum Don Alphonso unrecht hat: Nazis muss man immer Nazis nennen
Der Kampf um die Deutungshoheit hat eben erst begonnen. Don Alphonso will ihn gleich aufgeben. Ich sehe das ganz anders. Und dabei geht es mir sicher nicht darum, anderen “die Stadt abzureissen”.
Denn Don Alphonsos Argumentation kann man genausogut umdrehen: es wird keinen Nazi abhalten, Brandstiftung an einer Immobilie zu begehen, nur weil man ihn nun einen “Asylkritiker” nennt. Es wird keinen Neonazi davon abhalten, Gewalt gegen andere Menschen auszuüben, weil ihm ihre “Rasse” nicht passt, nur weil man ihn einen “besorgten Bürger” nennt. Es wird keinen Nazi davon abhalten, nach dem “Bürgerkrieg” zu rufen und auf der Strasse gleich mal mitzumachen, nur weil man “seine Sorgen ernst nimmt.”
Nazis sind Nazis. Alle. Und um das zu klären: es sind Mörder. Alle.
Nein, nicht alle im strafrechtlichen Sinne, nicht gleich zu Anfang jedenfalls. Aber hier hat Don Alphonso besonders nicht zu Ende gedacht; er hätte – ausgerechnet am Beispiel einer Linksterroristin, nämlich von Ulrike Meinhof – lernen können, wie Extremismus funktioniert. Er hätte es genausogut von einer der vielen Schriften über die Neonazis lernen können. Er hätte es aber auch anhand seiner eigenen Beispiele, der des Konflikts im Nahen Osten lernen können. Hat er augenscheinlich nicht.
Ich spreche von Entmenschlichung.
Der Trick, wie man eine Gruppe von Menschen dazu kriegt, zu Mördern zu werden, liegt darin, dass man ihnen weismacht, ihre Opfer seien keine Menschen – oder höchstens “Untermenschen”. Sie seien Tiere, oder aber vielleicht noch zwischen Tier und Mensch, auf gar keinen Fall jedoch seien sie Menschen. Denn dann ist es den meisten Menschen möglich, andere zu töten – sie töten ja gerade keine anderen Menschen mehr ihrer Überzeugung nach. Das meinte die Meinhof, als sie ihre intellektuelle Bankrotterklärung abgegeben hat; es ist der Punkt, den alle Mörder gemeinsam haben:
Das ist ein Problem, und wir sagen, natürlich, die Bullen sind Schweine, wir sagen, der Typ in der Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch überhaupt mit diesen Leuten zu reden, und natürlich kann geschossen werden.
Meinhof ist in die ideologische Falle gegangen. Sie hatte die Wahl, und hat sich falsch entschieden. Nazis sind immer alle bereits drin – es ist das Wesen der rechtsextremen Ideologien, immer zu entmenschlichen. Warum?
Weil rechte Ideologie sich dadurch auszeichnet, dass sie die Égalité ablehnt. Egal, ob Führerprinzip und “Rasse”, “blaues Blut” oder auch “Leistungsträger und Sozialschmarotzer”: das ist das gemeinsame, das verbindende Element aller rechtsextremer Ideologie. Und rechtsextrem wird solche Ideologie immer dann, wenn die Ablehnung der Gleichheit aller Menschen soweit geht, dass man das humanistische Menschenbild vollständig ablehnt, dass man den Anderen zum “Untermenschen” erklärt.
Im Rassismus und Kulturchauvinismus der Nazis sind die Flüchtlinge keine Menschen. Man kann in all ihren Texten die Entmenschlichung finden. Es beginnt damit, dass nur böse Absichten unterstellt werden. Das seien “Invasoren” (noch menschlich also), “Schmarotzer, die nur wegen des Geldes kommen” (schon nicht mehr ganz menschlich), aber dann auch “Musels” (der “Musel” ist schon ein Untermensch, denn er hat eine minderwertige Kultur), “Neger” (der Klassiker für den Untermenschen im Rassismus), und so weiter.
Und diese anderen Rechtsextremen, die Deutschland regieren, haben mit ihrer Ideologie die Saat für noch mehr Gewalt gelegt: denn für sie stehen “Leistungsträger”, also Träger finanzieller Leistungskraft, den unwerten “Schmarotzern” gegenüber – ihrer Form des Untermenschen eben. Diese Ideologie ist genauso nachweisbar in den Texten der Neonazis: sie wird übernommen, und auf die Flüchtlinge angewandt. Und so bilden nicht nur ein Sarrazin oder die Bildzeitung mit ihrer rassistischen Hetze die Grundlage für die Nazi-Exzesse, die wir in Deutschland beobachten müssen. Nein, Sinngeber ist hier auch Franz Müntefering mit seinem Spruch aus dem 2. Thessalonicher: “Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.”
Es ist die unheilige Allianz von Rassismus, Kulturchauvinismus und marktradikal-neoliberaler Ideologie, die hier nun ihre fauligen Früchte hervorbringt in Freital, Dresden, Heidenau & Co. Es ist die aktuelle Form des Neonazismus': der Jude wurde durch den sozialschmarozenden “Musel” ersetzt.
Und es bringt deshalb auch gar nichts, Nazis etwa nicht Nazis zu nennen. Denn die beeinflusst man so oder so erstmal nicht direkt, wenn man das Kind einmal beim Namen nennt, oder es auch unterlässt. Aber man beeinflusst alle anderen, vor allem diejenigen, die gerade auf der Kippe stehen, ob sie sich auf rechtsextreme Ideologie einlassen sollen. Für sie muss man Nazis immer Nazis nennen. Für sie muss man die ganzen Erklärungen liefern. Für sie muss man ständig dokumentieren, dass sie einer Hetze auf den Leim zu gehen drohen, die Menschen abwertet und schliesslich zu “Untermenschen” machen will.
Man muss es tun, um möglichst viele zu bewahren, auf solche Ideologien hereinzufallen. Und man muss es auch für diejenigen tun, die bereits Nazis sind. Denn es ist wie bei einem Suchtkranken: man muss immer und immer wiederholen, dass er krank ist. Erst wenn er das für sich selbst akzeptiert, hat er jemals eine Chance, da wieder herauszukommen. Dafür muss er es von allen Seiten, ständig und ohne Unterlass hören.
Nun ist – wie bei anderen psychischen Störungen auch – das Herausfinden aus einer extremen Ideologie extrem schwierig, und führt selten zum Erfolg. Das sollte einen jedoch nicht abhalten, alles dafür zu tun, damit die Mitmenschen (auch Nazis sind Menschen) die grösstmögliche Chance erhalten, das zu tun.
Das ist das einzige, was wir haben: Nazis auch Nazis zu nennen, und ständig darauf hinzuweisen, dass ihre Opfer keine Untermenschen, sondern ganz im Gegenteil genauso Menschen wie Du und ich sind. Es wirkt nicht besonders gut, aber es ist das einzige, was überhaupt funktioniert.
publiziert Thu, 27 Aug 2015 05:32:41 +0200 #kommentar #nazis