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LuganskSchöne, neue neoliberale Glitzerwelt am Beispiel von Katar

Bildung ist nicht Ausbildung

“Der Universität ist vorbehalten, was nur der Mensch durch und in sich selbst finden kann, die Einsicht in die reine Wissenschaft. Zu diesem Selbstactus im eigentlichen Verstand ist notwendig Freiheit und hilfreich Einsamkeit, und aus diesen beiden Punkten fließt zugleich die ganze äußere Organisation der Universitäten. Das Kollegienhören ist Nebensache, das wesentliche, daß man in enger Gemeinschaft mit Gleichgesinnten und Gleichaltrigen und dem Bewußtsein, daß es am gleichen Ort eine Zahl schon vollendet Gebildeter gebe, die sich nur der Erhöhung und Verbreitung der Wissenschaft widmen, eine Reihe von Jahren sich und der Wissenschaft lebe … Darum ist auch der Universitätslehrer nicht mehr Lehrer, der Studierende nicht mehr Lernender, sondern dieser forscht selbst, und der Professor leitet seine Forschung und unterstützt ihn darin.”

Als Wilhelm von Humboldt dies im Jahr 1809 schrieb, strömten keine Massen von Schulabgängern in die Hochschulen. Akademische Bildung war eine elitäre Angelegenheit, die nur sehr lose mit der Sphäre der Arbeit und Produktion verbunden war. Dennoch entstand damals ein wegweisendes System, um nach-schulische Bildung zu organisieren: das "forschende Lernen". Im Studium sollte ein fließender Übergang stattfinden von der Reproduktion der Forschungsergebnisse anderer hin zur Produktion eigener Gedanken. Die "Einheit von Forschung und Lehre" bestand weiterhin darin, dass Wissenschaftler sowohl den akademischen Nachwuchs unterrichten, als auch eigene Forschung betrieben.

Heute wird in der akademischen Praxis Forschen und Lehren inhaltlich und organisatorisch zunehmend voneinander getrennt. Der Zeitpunkt, um eigene Gedanken zu verfertigen, wird immer weiter hinausgeschoben und das Pathos Humboldts wirkt albern.

Das schreibt Matthias Becker in seinem Aufsatz auf Telepolis. Humboldts “Pathos” – sein altertümliches Deutsch – mag heute albern wirken. Aber man sollte ihm schon zuhören, um zu verstehen, was er sagt. Humboldt versteht nämlich unter Bildung etwas völlig anderes als Ausbildung. Es geht bei der Bildung nicht darum, einem Menschen möglichst viel Wissen und/oder Können zu vermitteln.

Es geht darum, Menschen zu helfen, aus ihrer (wie Kant es nennt: selbstverschuldeten) Unmündigkeit heraus zu finden, sie zum eigenständigen Denken zu führen. Deshalb soll der Professor, wie Humboldt sagt, “nicht mehr Lehrer, der Studierende nicht mehr Lernender” sein, sondern “dieser forscht selbst, und der Professor leitet seine Forschung und unterstützt ihn darin”.

Das führt zur politischen Situation des mündigen Bürgers, den man ernst zu nehmen hat. Es führt an der Universität zu Forschern, die in der Lage sind, eigenständig Forschungsfragen zu stellen und, mit dem entsprechenden epistemologischen, wissenschaftstheoretischen und methodischen Rüstzeug versehen, zu untersuchen, letztlich zu beantworten oder gar auf völlig neue Ideen zu kommen – eine Fähigkeit, die vor allem in Milton Friedmans Profession wieder dringend gefördert werden sollte.

Deshalb sollte Bildung und nicht Ausbildung das erste Ziel im Schulsystem, das erste Ziel an der Hochschule, das einzige Ziel an der Universität sein.

Nicht dass jetzt Missverständnisse aufkommen: auch Aus- und Weiterbildung sind wichtig. Das Erlangen von Fertigkeiten ist unabdingbar, um überhaupt so weit zu kommen, selbstständig denken und handeln zu können – und in unserer sich immer schneller ändernden Welt zu bestehen. Jedoch bleibt hier schon zweifelhaft, wie man die Qualität der Ausbildungsangebote auf einem gewissen Niveau garantieren soll, wenn beispielsweise von religiösen Sekten betriebenen Schulen derselbe Status wie Schulen zugestanden wird, die sich dem humanistischen Bildungsideal verschrieben haben. Und nein, der Markt wird das nicht “regeln”. Der Markt “regelt” leider (wie so oft) gar nichts, oder zum Falschen. Eltern entscheiden nicht nach der Bildungsqualität die Schule, ja leider nicht mal nach der Ausbildungsqualität. Sie entscheiden wesentlich nach dem gesellschaftlichen Status – oder gar nicht, wenn sie kein Geld haben oder selbst keine Bildung besitzen. Die katastrophalen Ergebnisse der Bildungspolitik zeigen sich gerade höchst deutlich in der immer grösser werdenden gesellschaftlichen Spaltung, zu der die soziale Undurchlässigkeit führt.

Insofern ist auch in diesem Punkte die neoliberale Theorie der “Bildungsangebote” nichts als verdrehte Ideologie. Sie pervertiert den mündigen Bürger zum Untertanen in der Postdemokratie, verdreht den jungen Wissenschaftler zum “Bildungspunkte-Sammler”, zum Abhaker der Pflichtthemen. Und sie verdreht eine gesamte Gesellschaft dahin, dass sie nicht mehr nüchtern erkennt, wie der Hase läuft und wo die Probleme liegen.

Der marktradikal-neoliberale Wahn des Sparens entfaltet gerade bei der Bildung seine verheerende Wirkung. Auch hier wird der Weg zurück in die Feudalgesellschaft bereitet – mit dummen Arbeitern und Bauern, dem Bischof, der sie bei der Stange hält, und dem Grafen, der für die eigentlichen Machthaber und Besitzer die Leibeigenen kontrolliert, abzieht und befehligt.

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