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“Journalism is printing what someone else does not want printed; everything else is public relations.” (George Orwell, angeblich) – Hanni & Nanni und die Brüsseler Grundrechte

Auf dem Umweg über Australien und China hat Julian Assange es endlich nach Brüssel geschafft.

In ihren sedierenden Midday Briefings, die der behutsamen Einschläferung einer bereits von Berufs wegen schläfrigen Presse gewidmet sind, haben wir EU-Kommissionssprecher im Laufe der Zeit schon reichlich hirnverbranntes Zeug verzapfen hören, hingegen selten Hirnverbrannteres als in der vergangenen Woche.

Aber der Reihe nach.

Nach 4 Jahren, 3 Monaten und 18 Tagen politischer Inhaftierung im HMP Belmarsh, denen 6 Jahre, 9 Monate und 23 Tage erzwungener Isolierung in der Londoner Botschaft Ecuadors vorausgegangen waren, hatte die australische Regierung, vertreten durch Außenministerin Penny Wong, erstmals den Namen ihres Staatsbürgers Julian Assange ausgesprochen.

Hinter den Kulissen der AUSMIN-Konsultationen in der vorvergangenen Woche waren die USA nämlich von Australien, das gerade zweistellige Milliardenbeträge auf diverse Geschäftskonten der US-Rüstungsindustrie überweist, vorsichtig um eine Neubewertung des Falles Assange ersucht worden. „Enough is enough“, hieß es sinngemäß. Eine ziemlich vernünftige Ansicht, die neun von zehn Australiern teilen.

Die internationale Rechtsordnung der USA, vertreten durch den neo(con)demokratischen Bumsschädel Antony Blinken, wollte allerdings lieber irgendwas mit See- und Weltraumkrieg, ferngelenkten Mehrfachraketenwerfersystemen, Gewinnen aus dem Verkauf nuklearbetriebener U-Boote sowie dem Ausbau von US-Militärbasen (+ Stationierung von 2.500 US-Soldaten) im Norden Australiens besprechen. Und bat beiläufig um Verständnis, dass seine Regierung Assange weiterhin verfolgen werde.

Mit diesem eingefrorenen Bofrost-Lächeln, das die Temperatur (weltweit) augenblicklich um 5 Grad sinken lässt, kam Blinken zuerst auf das Stichwort „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ zu sprechen. (Wir kennen Leute, die Leute wie Blinken für etwas noch viel Schlimmeres halten als eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“, nämlich für eine „Bedrohung der internationalen Sicherheit“. Aber lassen wir das.)

Man müsste den Mann neologistisch eigentlich einen „Schwurbler“ nennen. Denn Belege dafür, dass irgendjemand durch die von Wikileaks veröffentlichten Dokumente zum Irak und Afghanistan tatsächlich Schaden genommen hätte, gibt es nämlich nicht. In dem von ihr selbst angestrengten Endlosverfahren konnte die US-Anklage dem britischen Gericht hierzu nichts als ihre eigene (unbewiesene) Behauptung vorlegen.

Das zweite Stichwort war erwartungsgemäß „published classified information“ - auch das ein alter Gassenhauer (aus der vordemokratischen Steinzeit).

Denn ist es so: Die von Whistleblowerin Chelsea Manning beschafften und von Wikileaks lediglich veröffentlichten „klassifizierten Informationen“ belegen eine Vielzahl von US-Kriegsverbrechen. Die Veröffentlichung von wahrheitsgemäßer Information über begangene Verbrechen wiederum, so unangenehm sie - dem Verbrecher - auch sein möge, kann unter keiner für demokratische Systeme denkbaren Rechtsordnung strafbar sein.

Die US-Kriegsverbrecher selbst wurden übrigens nie zur Rechenschaft gezogen und sind alle noch auf freiem Fuß. Die Whistleblowerin Chelsea Manning wurde bekanntlich zur Rechenschaft gezogen, zu 35 Jahren Haft verurteilt und (nach Straferlass und Beugehaft) 2020 wieder auf freien Fuß gesetzt. Aber ausgerechnet der, der von beiden hier in Frage stehenden Verbrechen - Krieg und Datendiebstahl - kein einziges begangen hat, soll für (weitere) 175 Jahre im Zuchthaus schmoren: der Publizist Julian Assange.

Noch einmal zur Erinnerung: Es ist ein Verbrechen, Kriegsverbrechen zu begehen. Es ist kein Verbrechen, (begangene) Kriegsverbrechen aufzudecken. Und wenn Regierungen die ihnen geliehene Amtsmacht missbrauchen, um ihre (eigenen) Verbrechen als „klassifizierte Information“ vor der Weltöffentlichkeit zu verstecken, dann ist vielleicht ein (ziemlich böse) verdrehter Arm der Sizilianischen Mafia, aber kein demokratischer Rechtsstaat mehr am Werk.

In der letzten Pressekonferenz der Europäischen Kommission jedenfalls nahm Chen Weihua, Brüssel-Korrespondent der China Daily, die US-amerikanisch-australischen Gespräche über Julian Assange auf und wollte wissen, wie die Kommission zu dieser Frage stehe.

Nun. Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Kommission sich als bengalische Knalltüte europäischer Werte missversteht. Wir haben uns daran gewöhnt, dass ihr pyrotechnisches Wertekonfetti nur an Festtagen gezündet wird, die in ihrer eigenen politischen Agenda stehen. Und wir haben uns auch daran gewöhnt, dass Julian Assange ihr aus Gründen, die offen zuzugeben sie nie die Größe hätte, nun einmal partout nicht in den Kram passt, weswegen mit einer Verteidigung der mit seinem Fall verbundenen Werte in diesem Fall in keinem Fall zu rechnen ist.

Wir haben mehr ausweichende Antworten von Kommissionsvertretern gehört als es in einem Jahr Sekunden gibt. Wir haben Sprecher gesehen, die Stunden mit der Erörterung der Rechte (Urheber!) von „Hello Kitty“ und anderen faszinierenden Kardinalwerten der EU zubringen können, ohne schamrot, kreidebleich oder rettungslos plemplem zu werden.

Noch nie ist uns begegnet, was Nabila Massrali (Spokesperson for Foreign Affairs & Security Policy of the EU) und Arianna Podesta (Spokesperson for EU Competition and EU Eurostat) in einem offenbar modern gemeinten Moderations-Ping-Pong („Nabila?“) der europäischen Öffentlichkeit hier auf die Frage nach Assange auftischen.

Man äußere sich nicht zu bilateralen Verhandlungen von Drittstaaten, sagt die eine. Was glatt gelogen ist, denn das macht die Kommission, v.a. ihre außenpolitische Sprecherin, natürlich in Wahrheit ohne Unterlass.

"Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein Grundrecht, das in der Charta der Grundrechte der EU verankert ist“, schlägt die andere schnell in ihrem elektronischen Spickzettel nach. So weit, so gut. Antworten dieser Art gibt es von der Kommission andauernd, sie bedeuten nicht das Geringste.

Aber dann:

"Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat systematisch festgestellt, dass die Meinungsfreiheit KEIN absolutes Recht ist.“

Und weiter:

„In demokratischen Gesellschaften ist es notwendig, alle Formen der Meinungsäußerung zu SANKTIONIEREN, die HASS auf der Grundlage von Intoleranz verbreiten, anstiften, fördern oder rechtfertigen."

Aber Pressefreiheit sei in der Tat ein Grundwert der EU, freut sich Hanni, während Nanni dazu eifrig nickt.

Wir können nur hoffen, dass diese hervorragend ausgebildeten und (offenbar bestens) informierten Damen tatsächlich keinen Schimmer hatten, wer (oder was) sich hinter so seltsamen Namen wie Antony Blinken, Penny Wong oder Julian Assange verbergen könnte. Oder welche elementaren Grundrechte der EU durch das um den Wikileaks-Gründer geführte Verfahren berührt sind.

Andernfalls wir beider Antwort entnehmen müssten, dass die Kommission die Verfolgung eines Publizisten letztlich für (irgendwie) legitimierbar hält. Andernfalls wir verstanden hätten, dass die Veröffentlichung von Dokumenten im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen als (irgendwie) sanktionierbare Form der Meinungsäußerung begriffen werden kann. Andernfalls wir schließlich befürchten würden, dass die Arbeit von Journalisten und das Grundrecht der Meinungsfreiheit in der EU tatsächlich nur noch insoweit (irgendwie) unter Schutz stehen, als keinerlei (ihnen jederzeit willkürlich zuschreibbarer) „Hass“ in ihnen enthalten ist.

All das würde, hätten wir es nicht richtig, sondern falsch verstanden, nämlich ein paar ganz große Fragen aufwerfen.

Was ist zum Beispiel mit dem Hass auf schlechtes Wetter oder den HSV? Ist denn der Hass auf Kriegsverbrechen noch erlaubt? Wie steht es mit dem Hass auf Publizisten, die Kriegsverbrechen offenlegen? Darf man ungestraft Regierungen hassen, die Publizisten für deren Hass auf Regierungsverbrechen jahrzehntelang verfolgen?

Noch nie, konstatiert das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ), sei dieser Beruf so gefährlich gewesen wie heute: 67 Morde an Medienschaffenden allein im letzten Jahr, dazu 363 Inhaftierungen - eine Rekordzahl, die höchste seit Beginn der Datenerhebung vor 30 Jahren. Vor diesem Hintergrund zeichne sich ein ebenso starker wie beunruhigender „Trend“ zum Missbrauch des Rechts ab, um Journalisten weltweit zum Schweigen zu bringen, ergänzt die Deutsche Welle.

Im Englischen gibt es einen eigenen Begriff für diese Art der Kriegführung gegen die Wahrheit: „Lawfare“, der absichtsvolle Rechtsmissbrauch. Dabei wird z.B. gegen Journalisten eine gezielte Flut heimtückischer Anschuldigungen („Assange ist ein Vergewaltiger“), ausdifferenzierter Anklagepunkte (bei Assange sind es 17) und langwieriger Rechtsverfahren (gegen Assange nun 13 Jahre) mit dem einzigen Ziel in Stellung gebracht, sie von der Fortsetzung ihrer Berichterstattung abzuhalten. Ein Mittel, das sich vor allem unter korrupten und autoritären Regimen großer Beliebtheit erfreut, da sich damit jede tatsächlich stattfindende Unterdrückung kritischer Berichterstattung zugleich effektiv verschleiern lässt.

Das Gesetz als Waffe gegen Journalisten - auch in der EU. Laut Media Freedom Rapid Response wurden in den Mitgliedsstaaten im letzten Jahr rund 500 Angriffe auf Personen oder Einrichtungen im Medienbereich registriert, darunter 113 Verletzungen der Pressefreiheit mit den Mitteln des Rechts, von denen wiederum (mindestens) 47 eindeutig als missbräuchliche Klagen einzustufen sind, sogenannte SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation).

Seit Ende 2021 bastelt die EU an einer Richtlinie zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten vor missbräuchlichen Klagen herum. Ob nach all den institutionellen und interinstitutionellen Waschgängen, denen man sie derzeit unterzieht, noch etwas Brauchbares von ihr übrigbleibt, wird sich erst zeigen müssen.

Věra Jourová, die für Werte und Transparenz zuständige Kommissionsvizepräsidentin, hat sich derweil mit Inbrunst in die „Aufrüstung im Kampf gegen Desinformation“ gestürzt und wirbt etwa für die Einführung „strafrechtlicher Verbote“ für die „Verbreitung von Nachrichten, die Panik schüren könnten“ nach tschechischem Vorbild. Dass sie den Namen von Julian Assange öffentlich nie ausgesprochen hat, löst bei uns zwar eindeutig demokratische Panik aus, hindert sie jedoch nicht an der Verbreitung vollmundiger Aussagen wie dieser: „Wir haben versprochen, Journalisten besser gegen diejenigen zu verteidigen, die sie zum Schweigen bringen wollen. In einer Demokratie dürfen Reichtum und Macht nie über die Wahrheit bestimmen.“ Oder dieser: „Wir werden Journalisten beistehen und sie schützen, egal wo sie sich befinden. Unabhängige Journalisten schützen das Recht auf freie Meinungsäußerung und gewährleisten den Zugang zu Informationen für alle Bürger. Ein Angriff auf die Medien ist ein Angriff auf die Demokratie.“

Ähnlich pathetisch wurde ausgerechnet EU-Justizkommissar Didier Reynders, der als belgischer Minister 2019 noch höchstpersönlich einen Gesetzesentwurf zur Einschüchterung von Whistleblowern und Journalisten eingebracht hatte, um sie mit Geldstrafen von bis 5.000 Euro und Haftstrafen von bis zu fünf Jahren an der Aufdeckung „geheimer Regierungsinformationen“ zu hindern. Keine zwei Jahre später rückt er seine Kommissarskrawatte mit abgeschmackten Phrasen wie diesen gerade: „Die aktive Ausübung des Grundrechts auf Meinungs- und Informationsfreiheit ist zentral für eine gesunde und lebendige Demokratie. Die EU wird dieses Recht immer schützen.“

Sieh an. Journalisten gegen diejenigen verteidigen, die sie zum Schweigen bringen wollen? Ihnen beistehen, wo immer sie sich befinden? Die EU wird dieses Recht immer schützen?

Was wir jetzt denken, würde von Nabila und Marianna unweigerlich als sanktionierbare Form bürgerlichen „Hasses“ missverstanden werden, daher schwenken wir - den beiden, Ihnen und uns zuliebe - auf jene EU-weit (noch) garantiert geschützte Liebe um. Wir lieben diesen haarsträubenden Versuch der EU, durch ihre blanke Ignoranz zur Legitimierung einer missbräuchlichen Instrumentalisierung des Rechts gegen einen Publizisten beizutragen. Wir lieben das kaputte Gesellschaftsethos einer Demokratie, die verfassungsmäßig geschützte Grundrechte so plump verdreht, dass sie zur Verfolgung derer benutzt werden können, zu deren Schutz sie konzipiert waren. Und am leidenschaftlichsten lieben wir eine EU-Kommission, die auch nach 13 Jahren noch nicht den Ansatz eines autonomen Standpunkts zu Julian Assange zustandebringt, während sie lustige Sprecherinnen auftreten lässt, die ihrerseits nicht den Hauch einer Ahnung von allen mit seinem Fall verbundenen Grundrechtsfragen haben, gleichwohl diese zu den wesentlichsten unserer wahnsinnigen Zeiten zählen.

(Quelle: @MartinSonneborn)