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Die Mutter allen KapitalsDie friedlichen Religionen mal wieder: “Mit schönem Gruß von Emmanuel Goldstein”

Die Friedrich-Ebert-Stiftung agitiert gegen direkte Demokratie

Das Papier der FES gibt's hier. Die Argumentation ist leider wenig überraschend. Ich möchte hier kurz auf die dort zu Anfang gelisteten Thesen eingehen; im Einzelnen:

Die Kerninstitutionen der repräsentativen Demokratie – Wahlen, Parteien und Parlamente – haben an Integrations- und Überzeugungskraft verloren. Volksabstimmungen könnten die Vertrauens- und Partizipationslücke schließen helfen. Stimmt diese in der Theorie stimmige Vermutung auch in der Praxis?

Zunächst haben nicht “Wahlen [gemeint sind offensichtlich Parlamentswahlen], Parteien und Parlamente” an Integrations- und Überzeugungskraft verloren. Sondern die Parteien versagen in ihrer Aufgabe, die verschiedenen Gruppierungen im Volke zu vertreten. Stattdessen streben die meisten Parteien eigener Darstellung zufolge nach der “Mitte der Gesellschaft”. Diese vermeintliche “Mitte” attraktiert die Parteien wohl derart stark, dass sie immer mehr ihre Unterschiede verlieren. Es ist nämlich keinesfalls so, dass alle Parteien um dieselben Leute kämpfen sollten. Sondern das Parteiensystem ist so gedacht, dass die unterschiedlichen Gruppierungen der Gesellschaft sich in unterschiedlichen politischen Parteien wiederfinden. Davon entfernen sich die meisten Parteien jedoch immer mehr. Insofern ist die Folge, dass sich immer mehr Menschen von diesen Parteien abwenden, da sie sich (zu recht) nicht vertreten fühlen. Das ist jedoch keinesfalls einem “Verlust der Integrations- und Überzeugungskraft” geschuldet – das Problem besteht gerade nicht darin, dass die Parteien ihre Standpunkte nicht verkauft kriegen. Es ist überhaupt kein Problem von Darstellung und Wahrnehmung der Parteien, sondern eines des Wandels ihres Wesens.

Auch sind Volksabstimmungen keine Medizin, die man dann geben kann, um eine vermeintliche “Vertrauens- und Partizipationslücke” zu schliessen. Sondern Volksabstimmungen sind vielmehr das Korrektiv, das Anwendung findet, wenn die gewählten Parlamentarier sich mal wieder zu weit vom Volkswillen entfernen.

Die Macher dieses Propagandablättchens, das hier als Studie daher kommt, haben offensichtlich nicht einmal die Problemstellung verstanden – oder verstehen wollen.

Partizipationsebene: Empirische Beobachtungen im internationalen Vergleich zeigen, dass die Beteiligungsraten bei Volksabstimmungen meist erheblich hinter der Teilnahme an nationalen Parlamentswahlen zurückbleiben. Wenn eine Beteiligung von 25–49 Prozent und Ja-Stimmen von 13–24 Prozent genügen, um ein Abstimmungsergebnis zum allgemeinen Gesetz werden zu lassen, wird die demokratische Legitimationsbasis dünn.

Bei direkter Demokratie ist eine stark schwankende Wahlbeteiligung erwünscht. Es wird bei guter Kommunikation vorausgesetzt, dass zur Abstimmung geht, wer sich für's Thema interessiert. Geht es um eine Fragestellung, deren Ausgang den meisten wurscht ist, warum sollen sie dann abstimmen gehen? Und geht es um etwas, was so gut wie alle bewegt, sind die Wahlbeteiligungen auch entsprechend hoch. So ist gewährleistet, dass jeweils diejenigen wählen, die ein Thema auch interessiert.

Das ist kein Nachteil, sondern ein grosser Vorteil der direkten Demokratie.

Soziale Selektion: Es ist empirisch eindeutig, dass die Beteiligung an Volksabstimmungen eine größere soziale Schieflage aufweisen als allgemeine Wahlen. Die unteren Schichten und Frauen sind unter-, die besser Gestellten und Männer erheblich überrepräsentiert.

Die Fragestellung verkennt völlig, die Interessenslage der Wähler mit den jeweiligen zur Abstimmung gestellten Fragestellungen zu vergleichen. Kurz: wie man eine konkrete Fragestellung aus der Abwasserentsorgung regelt, ist nun einmal ein Thema, das nur eine kleine Schicht interessiert. Es steht zu erwarten, dass hier die Masse nicht zur Abstimmung auftaucht. Ganz anders sieht es bei Fragestellungen wie dem Mindestlohn aus.

Hier aus Durchschnittswerten argumentieren zu wollen, wie es in der Studie gemacht wird, geht völlig an der Sache vorbei.

Politikergebnisse: Volksabstimmungen tendieren dazu, die Steuern zu senken, die Staats- und Sozialausgaben zu reduzieren und in kulturellen Fragen zu Lasten von Minderheiten zu gehen. Sie sind reine Mehrheitsentscheidungen. Verhandlung, Deliberation und Kompromiss sind ihnen, anders als parlamentarischen Entscheidungen, fremd.

Seltsam, aber das Staatswesen der Schweiz beruht ganz wesentlich auf dem Kompromiss. Die demokratische Kultur hier, die alle Stimmbürger betrifft und nicht nur wenige Parlamentarier, vermeidet Extreme und sucht den Ausgleich.

Kurz: für die Schweiz ist obige Darstellung schlicht falsch.

Übrigens funktionieren Sozialstaat und Altersrente in der Schweiz sehr gut, ganz im Gegenteil zu beispielsweise Deutschland, wo mit massivem Anwachsen von Altersarmut zu rechnen ist. Komisch, nicht, wo doch Volksabstimmungen immer nur Steuern und Abgaben senken? Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: es wird öfters einmal für eine neue Steuer oder für eine Steuererhöhung geworben. Allerdings muss man in der Schweiz, will man eine Steuer erheben, dem Stimmvolk klar machen, weshalb und wofür.

Das Volk entscheidet auch immer mal wieder Unfug in der Schweiz. Aber vergleiche ich die Entscheidungen mit dem groben Unfug, den die Parlamente auch in Deutschland entscheiden, so kommt die schweizer Demokratie sehr gut dabei weg.

Ich sag ja gerne immer: Demokratie bedeutet, das Volk hat das Recht, schlechte Entscheidungen zu treffen. Nur die von Berufspolitikern sind schlechter.

Auf den letzten Punkt in der Auflistung gehe ich nicht ein. Er ist nur eine Wiederholung bereits genannter Thesen.

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